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„Nie wieder“ ist aktuell von Bedeutung

Zum 75. Jahrestag der Reichspogromnacht vom 9.11.1938

„Der Fremde in Europa ist rechtlos.
Die Staaten, verschuldet, ausgehalten, geduldet von der Hochfinanz und vom heimischen Unternehmertum, in ihrer Existenz nur möglich durch Zollbarrieren; die Staaten, deren Grenzen keine Rassen umschließen, ja, nicht einmal mehr feste Wirtschaftsgebiete – die Staaten spielen gern: mittelalterliche Burg, Vaterland, Heimat. Und weil die Autorität zu Hause nicht weit reicht, weil der Bauer keine Steuern bezahlt und der Grubenbesitzer nicht pariert, sondern parieren läßt, deshalb regiert sichs so schön auf wehrlosen Individuen herum, auf den einzigen, die nicht mit einem Fußtritt antworten, wenn die ›höchste Gewalt‹ regierend eingreift. Hier fühlt sich der Staat. Das arme Luder will auch einmal wissen, wie das tut: etwas durchsetzen. Und da hats der Fremde nicht leicht.“

Kurt Tucholsky [als Ignaz Wrobel], Der Fremde, in: Die Weltbühne, 23.06.1926.

Seit die bürgerliche Gesellschaft sich auch in internationaler Konkurrenz herausgebildet hat, gibt es Rassismus; Diskriminierung in der Absicht, Menschen auszugrenzen und gegebenenfalls zu eliminieren. Das richtete sich zuerst gegen die aufkommende Arbeiterbewegung, später gegen Migranten jeglicher Herkunft. „Erfolg“ heißt, sich gegen andere durchzusetzen. „Deutsche, kauft deutsche Bananen“?

Der Mensch ist hingegen ein soziales Kulturwesen und auf grenzen- und vorurteilslose Kooperation angewiesen, um sich individuell, kollektiv und gattungsgemäß zu entwickeln. Eine Tatsache, die von hartnäckigen Marktgläubigen bis heute bestritten wird. Rassismus kann nicht existieren, ohne durch das Establishment – strukturell, rechtlich, „wissenschaftlich“ und hegemonie- oder kulturpolitisch – organisiert zu werden.

Rassismus dient immer der ideologischen Legitimierung von Ungleichheit, verteufelt alle, die sich unterscheiden, erheben oder erheben könnten, und trifft damit alle.

Am schärfsten führen und führten diesen Kampf der Ungleichheit die Nazis. Die Gewaltherrschaft zur Unterdrückung sozialer Kämpfe, zur räuberischen Versklavung der europäischen Bevölkerung sowie zur Vorbereitung und Durchführung des vernichtenden Krieges forcierten sie mit einem brutalen Antisemitismus.

An den Hochschulen wurde dieser oft vermeintlich wissenschaftlich begründet. Hier wurden systematisch jüdische und kritische Kolleginnen und Kollegen, Studentinnen und Studenten schon vor 1933 gemobbt und dann bald systematisch vertrieben. Auch die Hamburger Universität – trotz ihrer demokratischen Gründung 1919 und gegen ihre aufgeklärten Mitglieder – hat sich mehrheitlich den braunen Herren vorauseilend angedient.

In der Nacht vom 9. November 1938 wurde als Teil eines staatlich organisierten Pogroms in direkter Nachbarschaft zur Universität die große „Bornplatz-Synagoge“ der jüdischen Gemeinde geschändet, wurden Menschen bedroht und verschleppt, wurden Geschäfte und Wohnungen geplündert und verwüstet. In dieser Zeit rühmte sich die Universität bereits, „judenfrei“ zu sein.

Der industrialisierte, millionenfache Massenmord war ohne die opportunistische Haltung der Intellektuellen nicht möglich.

Aber die Befreiung der Menschheit vom Faschismus gelang durch die Verbindung von internationalistischer Aufklärung, sozialem Engagement und antifaschistischer Kooperation. Zwei wesentliche Konsequenzen aus der historischen Erfahrung sind infolge dessen sogar im Grundgesetz verankert worden. Erstens sollte von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen. Zweitens sollten alle politisch Verfolgten uneingeschränktes Asyl haben; Flüchtlinge sollten aufgenommen werden.

Beide historischen Lehren haben heute uneingeschränkte Aktualität. Sie müssen neue Geltung erhalten. Die Universität hat die Verantwortung, daß aus der Geschichte gelernt wird: Wissenschaft und Solidarität kennen keine Grenzen.