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Mahnendes Denkmal: „Bologna“

„Tui Hoo hatte keinen Respekt vor Denkmälern. Nicht etwa, weil sie feist waren und rotlackierte Fingernägel hatten – nein, Tui Hoo war kein Spießbürger, der sich über seinen Nachbarn aufregte, weil er einen komischen Hut trug. Er verkehrte häufig mit Damen, die Zigarre rauchten und heiser waren wie Gießkannen, oder mit Männern, die Ohrringe trugen und deren Hosenbeine weit waren wie Frauenkleider. Nein, kleinlich war Tui Hoo nicht. Aber Denkmäler, denen vor Bangbüxigkeit das Herz aussetzte, Denkmäler, die feige waren und nur siebenundsechzig Jahre alt wurden, weil andere mit fünfzehn Jahren dran glauben mußten – solche Denkmäler haßte Tui Hoo, und er sprang sie fauchend an, wie eine überreizte, ausgehungerte Raubkatze, wie – ja, wie ein regelrechter rebellischer Sturmwind, der gut und grausam war wie seine Mutter, das Meer (…).“

Wolfgang Borchert, „Tui Hoo“, In: ders: Die traurigen Geranien und andere nachgelassene Geschichten, 1967.

Aufbruch, Neugier, Infragestellen, Versuchen, solidarisches Leben und Veränderungsanliegen – für international verwirklichte Menschenwürde: Das sollte Studium sein .

Aber spätestens seit der Studien-„Reform“ mit dem wohlklingenden Namen „Bologna“ ist es vermehrt Qualen nach Zahlen. Widerstand hat es gegen diese entfremdende Orientierung auf Tauschwert-Steigerung von Beginn an gegeben.

Als 2008 europaweit Hochschulen besetzt wurden („Uni brennt“), um die Tortur zu beenden, mußte das politische Establishment nachsteuern: Die damalige Bundesministerin („Dr.“) Annette Schavan (CDU) brachte einen „Qualitätspakt Lehre“ auf den Weg: Zwei Milliarden Euro fließen in wettbewerbsmäßigen Drittmittel-Verfahren von 2011 bis 2020 in ausgewählte Hochschulen zur „Verbesserung“ der Lehre. Die durchschaubare Absicht war und ist, vom Scheitern des Bologna-Systems abzulenken; es solle „studierbar“ werden. Nun denn.

Die Universität Hamburg hat bereits 12 Millionen Euro aus diesem Topf eingeworben und will weitere acht Millionen gewinnen. Damit wird ein „Universitätskolleg“ betrieben. Dieses richtete jüngst eine Tagung aus. Dabei wurde offenbar: Auch dieser Versuch, die Schädigungen von „Bologna“ (und „G8“) bloß zu reparieren, muß scheitern. Denn seine Prämisse ist, Unterfinanzierung, Drittmittel-Konkurrenz und die auf Auslese gerichtete Studienstruktur zu akzeptieren. Aber dann dominierte weiter die Anpassung aller Beteiligten an menschenunwürdige und wissenschaftsfremde politische Rahmenvorgaben. Mit den eingeworbenen Mitteln können zwar einige Löcher im Lehrbetrieb vorläufig gestopft werden (in Tutorien, Sprachlehre, Schreibwerkstätten, Vorbereitungskurse, E-Learning-Experimenten), aber an einer schlüssigen Konzeption für die Wiedergewinnung humanistischer Wissenschaftlichkeit, für inklusives Lernen, Lehren und Forschen sowie einen kritisch eingreifenden Weltbezug fehlt es: Vom „(Self-)Assessment“ bis zur Abschlußarbeit sei die Frage: Was kannst Du (nicht)? Anstatt: Erkenne Dich selbst! Was willst Du verändern? Was ist wahrhaft rational und menschlich? Und: Wie realisieren wir Erkenntnisse, Mittel und Möglichkeiten, alle Verhältnisse würdig zu gestalten?

Dafür muß gründlich durchgelüftet werden.

Wissenschaften, Künste und Politik sind gemeinsame Reflexion und Veränderung der Gesellschaft. Das sollte aufrecht, kooperativ, rational und produktiv sein: angenehm.

Möglichkeiten und Erfahrungen dafür werden in der Uni Hamburg vielfältig geschaffen: In der kritisch aktiven Verfaßten Studierendenschaft, den Fachschaftsräten und Orientierungseinheiten, in den Aktivitäten sozial verantwortlich ambitionierter

Studienreform seit 1968, in den aktuellen Diskussionen demokratischer Gremien, bei den „Dies academici“ und im Engagement von und mit „internationalen“ Studierenden. Diese positiven Impulse solidarischer Entwicklung können von allen verstärkt wahrgenommen, aufgegriffen und weiterentwickelt werden.

Das ist „des Menschen allerhöchste Kraft“.