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Zivil, sozial, demokratisch
„SPIEGEL: Die Entwicklung des Elitedenkens, das Sie beschreiben, ist aber nicht nur den Demokraten zuzuschreiben. Sandel: Das stimmt. Der Wendepunkt liegt weit zurück. In den Achtzigern hatten US-Präsident Ronald Reagan und die britische Premierministerin Margaret Thatcher den freien Markt und die Globalisierung befördert. Im Lauf der Neunziger traten Bill Clinton als US-Präsident, Tony Blair als Premier Großbritanniens und Gerhard Schröder als deutscher Kanzler an – alles Vertreter von Mitte-Links-Parteien. Sie akzeptierten die Prinzipien der konservativen Vorgänger, die da lauteten: Die Marktmechanismen sind das wichtigste Mittel, um das öffentliche Wohl zu finanzieren. Ihr Marktglaube war weicher als der von Reagan und Thatcher, und sie versuchten, Auffangnetze für diejenigen zu knüpfen, die der Markt zurückließ, aber den Marktglauben selbst hinterfragten sie nicht. (...) Die Tyrannei der Leistung verletzt somit nicht nur diejenigen, die nicht mithalten können, sondern auch diejenigen, die die Erwartungen erst mal erfüllen können.“
Prof. Michael Sandel (Philosophie, Harvard-University), im „SPIEGEL-Gespräch“ („Tyrannei der Leistung“), SPIEGEL“ Nr. 39/19.9.2020, S. 83-85, hier: S. 84 u. 85.
„Wenn in Deutschland die Vermögen zwischen den Topbeziehern und der ärmeren Hälfte der Bevölkerung so dramatisch auseinanderdriften, hat (auch) das zu einem Großteil mit den drastisch steigenden Hortungsvorlieben in den Familienunternehmen zu tun – weil, siehe oben, sie das Geld eben nicht mehr investieren, sondern behalten. So ergibt die Ökonomie nur keinen Sinn. Und das hält keine Gesellschaft auf Dauer aus. Zumal, wenn sich das Vermögensgefälle absehbar via Schenkungen und Vererben verschärft.“
Thomas Fricke, „Coronakrise / Wenn Unternehmer zu viel Geld haben“, „SPIEGELONLINE“, 18.9.2020.
„Die Politik aber ist ein Gewerbe wie jedes andre auch. Die modernen Staatsmänner drücken den Gesamtwillen ihres Landes nur insofern aus, als die Bürger ihren Beauftragten zwischen der speziellen Delegierung und dem Augenblick, wo der öffentliche Protest eine Regierung hinwegfegt, auf dem breiten Spielraum jede Betätigung nach dem Trägheitsgesetz erlauben.“
Kurt Tucholsky, „Zwischen zwei Kriegen“, 1925.
Kurz gesagt: Die Welt ist nicht friedlich, sozial gerecht und nur eingeschränkt demokratisch. Es wird aber viel seitens Politik, Medien, Werbung und auch von Teilen der Wissenschaften unternommen zu erklären, wir lebten in fast optimalen Zuständen. Eine grundlegende Änderung des Elends soll so propagandistisch abgewandt werden. Dabei ist eine Fortsetzung des Zustandes oder eine Rückkehr zu alten Krisenverhältnissen wenig hilfreich und bereitet rechten Demagogen das politische Feld. Die „Tyrannei der Leistung“ oder jeder sei seines „Glückes Schmied“ soll „der unsichtbaren Hand des Marktes“ huldigen und ausreichende Unternehmenssteuern für die öffentliche Daseinsvorsorge (Soziales, Bildung, Kultur, Gesundheit, Infrastruktur) vermeiden, Löhne niedrig halten, einen niedrigen Beschäftigungssektor sichern sowie die öffentliche Investitionslenkung verhindern.
Auch Kriege für die Sicherung von Rohstoffen und Absatzmärkten, Rüstungsexporte für gewichtige Geschäfte werden – wenn nicht „humanitär“ – mit dem Konkurrenzprinzip gerechtfertigt.
Diese ideologischen Verdrehungen dienen der Rechtfertigung von sinnlosen Gewinnsteigerungen bzw. der Versteinerung unwürdiger Lebensverhältnisse – nicht nur in den katastrophalen Flüchtlingslagern. Für eine zivile, soziale und demokratische Wende wird allerdings in vielen Ländern gestritten – in Parteien, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, in Teilen der Medien und in der Kultur.
Das Engagement für gewaltlose Verhältnisse und eine faire internationale Entwicklung, eine nachhaltige Beziehung zur Natur, für soziale und kultivierte gesellschaftliche Bedingungen, ein aufgeklärtes Menschen- und Weltbild sowie die Bedeutung humaner Werte befindet sich im Aufschwung. Das ergibt Sinn und macht deutlich, daß Politik kein „schmutziges Geschäft“ sein muß. Die Alternative steht somit drängend auf der Alle betreffenden Tagesordnung: Stress und Zerstörung oder die aktuelle Verwirklichung von Freiheit, Gleichheit und Solidarität.
Übrigens gelte für die Universität: So viel Präsenz wie möglich und so wenig Digital wie nötig.