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„Bildung durch Wissenschaft“?
„Neu hinzugekommen ist der Anspruch, die Studenten auf ihr Berufsleben vorzubereiten. [...] Bildung führt nicht nur zur Ansammlung von Wissens und Kenntnissen; Bildung prägt die Persönlichkeit und führt zur Veränderung von Einstellungen, Bildung führt zu Urteilskraft. [...] Bologna war die richtige Antwort auf die Herausforderungen einer Gesellschaft, [...] die nur durch eine möglichst hohe akademische Qualifikation möglichst vieler international bestehen wird. Alles in allem ist die Bologna-Reform eine Erfolgsgeschichte.“
Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) im Zeit-Interview, 23.02.2012.
„So ließe sich vielleicht aus allen Bauern und Handwerkern Künstler bilden, d.h. Menschen, die ihr Gewerbe um ihres Gewerbe willens liebten, durch eigen gelenkte Kraft und eigne Empfindsamkeit verbesserten, und dadurch ihre intellectuellen Kräfte kultivirten, ihren Charakter veredelten, ihre Genüsse erhöhten. So würde die Menschheit durch eben die Dinge geadelt, die jetzt, wie schön sie auch an sich sind, so oft dazu dienen, sie zu entehren.“
Wilhelm von Humboldt: „Wie weit darf sich die Sorgfalt des Staates um das Wohl seiner Bürger erstrecken?“, 1792.
Deutlich gesagt, unterliegt die konservative Bildungstechnokratin, gemessen an dem Forscher, Pädagogen und konsequenten Reformer, zwei wesentlichen Mißverständnissen:
Erstens wird Bildung nicht verabreicht, sondern ist die aktive kritische Durchdringung aller Aspekte menschlichen Lebens. Zweitens ist sie nicht auf die individuelle und/oder nationale Durchsetzung in der Konkurrenz gerichtet, sondern auf die Hervorbringung und Verwirklichung eines bestmöglichen Begriffs der Humanität.
So widerspricht die ministerielle Zwecksetzung, es ginge um die „Schaffung konkurrenzfähiger Institutionen in gemeinsamer Trägerschaft von Bund und Ländern, um Leuchttürme mit internationaler Ausstrahlung“ unversöhnlich Wilhelm von Humboldts universellem Anspruch, „allein dieser Einseitigkeit entgeht er, wenn er die (...) einzeln geübten Kräfte zu vereinen, (...) durch Verbindung zu vervielfältigen strebt. Was hier gleichsam die Verknüpfung der Vergangenheit und der Zukunft mit der Gegenwart wirkt, das wirkt in der Gesellschaft die Verbindung mit anderen.“ Produktive Freiheit wird also in der lernenden und menschenwürdig gestaltenden Kooperation der Gleichen verwirklicht.
Diese Perspektive ist das schlichte Gegenteil der neoliberalen Bologna-„Reform“, mit der Studium und Lehre der Willkür nationaler Standortpolitik angepaßt werden sollten.
Bildung durch Wissenschaft bzw. Wissenschaft durch Bildung erfordert daher, das Desaster des Kapitalismus (und darin die Mitwirkung der Hochschulen) kritisch zu reflektieren. Erkennen und Handeln für Frieden und sozialen Fortschritt, für die Bildung mündiger Subjekte in interdisziplinäre Kooperation und für eine solidarische (Lern-)Kultur sind die neu zu schaffende Substanz von Universität. Der „Kampf um die Zukunft“ als gemeinsames Engagement für ausreichend finanzierte Hochschulen, Demokratie, Gebührenfreiheit und kritische Wissenschaft ist dafür ein guter Ausgangspunkt.
In diesem Sinne steht für das nächste Semester eine öffentliche Diskussion über Inhalt und Reichweite der Studienreform an.
Wahrheit ist ein Politikum.