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„Zum Geleit“
„Und dräut die Katze noch so sehr,
sie kann uns nicht verschlingen,
solange wir nur unverzagt
von allem, was noch ungesagt,
von Lust und Frust
von Frist und List
und dem, was sonst noch sagbar ist,
nicht schweigen, sondern singen:
Das Singen wird es bringen!"
Robert Gernhardt, Mäusegedicht, 1994.
Inhalt
0. Editorial
1. Zum Geleit LXXII – Fürs Vaterland zu sterben
2. Zum Geleit LXXIII – Kooperation oder Die Stärke des Verstandes
3. Zum Geleit LXXIV – Vom Grunde her oder Der Mut zur Philosophie
4. Zum Geleit LXXV – Bekömmlichere Laufrichtung
5. Zum Geleit LXXVI – Welt und Wahrheit – Eine Verbindung
6. Zum Geleit LXXVII – Großes ABC
7. Zum Geleit LXXVIII – Vermeidbare Mühsal
8. Zum Geleit LXXIX – Flucht oder sinnvolle Beteiligung?
9. Zum Geleit LXXX – Kleine Fabelkunde (Alphabetisches Ensemble)
10. Zum Geleit LXXXI – Es ist nie zu spät
0. Editorial
„Me-ti sagte: Jeder möge sein eigener Geschichtsschreiber sein, dann wird er sorgfältiger und anspruchsvoller leben.“
Bertolt Brecht, „Me-ti/Buch der Wendungen“ („Auch der einzelne hat seine Geschichte“), entstanden in den 1930er Jahren des Exils.
Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frieden, Demokratie und sozialer Fortschritt – für diese Alternative zu militärischem und ökonomischem Krieg ist Bewegung in der Welt. Allerorten wächst der Ärger über die aussichtslose Dogmatik der Herrschenden, entwickelt sich das qualifiziert organisierte progressive Engagement. Im vergangenen Jahr prägten in „Orient und Okzident“ zahlreiche Auf- und Durchbrüche das gesellschaftliche Geschehen. Und selbst in den USA macht sich exemplarisch in der Wiederwahl Barack Obamas eine wachsende soziale und Friedensbewegung gegen stockreaktionäre Hetze, Waffenlobby und global manipulative ökonomische Zerstörung Marke „Goldman & Sachs“ positiv bemerkbar.
In dieser Umbruchzeit hat besondere Bedeutung, in einer der reichsten Städte und Länder der Welt für die Seite der Zivilisation und Menschenwürde Partei zu ergreifen: Solidarität kennt keine Grenzen.
Humanistische Verbesserungen als Teil eines internationalen Aufbruchs in eine friedliche und gerechte Zukunft sind auch ein Potential von Bildung und Wissenschaften.
Der Akademische Senat hat als höchstes Wahlgremium der Universität dafür politische Verantwortung. Seine durchgängig kritische Auseinandersetzung mit neoliberalen Anordnungen wie der „Schuldenbremse“, „Bologna“ oder „Leistungsorientierung“ in der Mittelvergabe sind dabei Ausdruck intensiver Aufklärung und der Parteinahme für eine solidarische Gestaltung der Universitäts- und Stadtrepublik.
Die „Geleite“, die wir in dieser Broschüre dokumentieren, sind dafür programmatische Schriften. Wir verfassen und publizieren sie anläßlich jeder Sitzung des Akademischen Senats zur heiteren Beleuchtung des größeren Kontextes universitärer Arbeit. Dafür sind sie mit kämpferisch-humanistischer Haltung und literarischen, künstlerischen, politischen und wissenschaftlichen Freunden gestaltet. In dieser Broschüre ist jedem „Geleit“ eine kurze Einordnung in den Arbeitszusammenhang des Akademischen Senats vorangestellt. So ist auch ein Überblick über die Tätigkeit dieses Gremiums für das Jahr 2012 möglich*.
Das „Bündnis für Aufklärung und Emanzipation (BAE!)“ als Zusammenschluß fortschrittlicher studentischer Gruppierungen an der Universität Hamburg möchte damit zu einer solidarischen, sozial progressiven und couragierten Praxis ermuntern.
„Die Universität könnte eine Bildungseinrichtung mit universaler Mission wohl nur sein, wenn weltläufige und weltweite Wissenschaft, die den Nöten der Zeit gerecht wird, ihr spezifisches Kennzeichen und urbanes Kompetenzmuster ist: Verantwortlichkeit, Vertrauenswürdigkeit, Verlässlichkeit.“
Peter Fischer-Appelt: Die Universität als Kunstwerk, „Hamburg und die Welt“ (Einleitung), 2012.
Wir wünschen anregende Lektüre!
Liste LINKS, harte zeiten – junge sozialisten, Fachschaftsbündnis
(Das Bündnis für Aufklärung und Emanzipation – BAE!)
* Die Beschlüsse des Akademischen Senats dokumentieren wir in einer eigenen Broschüre, auch zu finden unter: www.bae-hamburg.de
1. Zum Geleit LXXII
Bei der internationalen Afghanistan-Konferenz in Bonn wird sich um konsequente friedenspolitische Lehren aus dem logischen Scheitern von Krieg und Besatzung wortreich herumgedrückt. Die politisch Verantwortlichen bewegen sich damit im Gegensatz zur internationalen Mehrheitsauffassung: Frieden schaffen ohne Waffen. Je mehr sich auch in Forschung, Lehre und Studium dieser Herausforderung gestellt werden will, desto nachdrücklicher können die finanzielle, räumliche, bürokratische und normative Enge der „unternehmerischen Hochschule“ als Emanzipationshürden erkannt und überschritten werden.
Fürs Vaterland zu sterben
(Der Text wird auf die Melodie von „Es ist ein Ros’ entsprungen“ gesungen.)
1.
Fürs Vaterland zu sterben, gilt als ein’ heilig’ Pflicht.
Als Deutschlands deutsche Erben daran wir zweifeln nicht.
Und fehlt der Sinn dabei?
Gibt man uns Geld und Segen und sagt uns, wie es sei.
2.
Nach soundsoviel Jahren ist schmutzig dieser Krieg.
Wir haben pur erfahren, wem nützet wohl ein Sieg.
Und was folgt jetzt daraus?
Was sie uns auch erzählen, begeistert keine Laus.
3.
Dennoch wird neu beschworen, daß man noch braucht’ drei Jahr.
Krieg wird stets neu geboren, für Geld, ganz blank und bar.
Macht da noch jemand mit?
Wenn uns verläßt der Glauben, steigt Hoffnung Schritt für Schritt.
4.
Fürs Vaterland zu sterben, gilt schlicht als Unsinn nun.
Auch wenn sie uns umwerben, soll’n alle Waffen ruh’n.
Und was ist Eure Wahl?
Der Mensch will besser leben, jetzt, hier und allemal.
Olaf Walther, 7.12.2011.
2. Zum Geleit LXXIII
Im Oktober 2011 war der Uni-Präsident mit der „Hochschulvereinbarung“ einen ungünstigen Kompromiß mit dem SPD-Senat eingegangen: für finanzielle Planungssicherheit und Milderungen bei den Kürzungen. Der „Kampf um die Zukunft“ – die gemeinschaftliche Kampagne der Universität begonnen im Jahr 2011 – reicht aber in seinen Zielen wesentlich weiter: staatliche, bedarfsgerechte Finanzierung von Bildung und Wissenschaft, damit sie unbedrängt von ökonomischen und partikularen Interessen kritisch und humanistisch entwickelt werden können, Demokratisierung der Uni und eine
Studienreform für echte Lernfreude
stehen weiterhin an. Was alle bewegt, ist
Solidarität:
Kooperation
oder
Die Stärke des Verstandes
„Der Dornstrauch
»Aber sage mir doch«, fragte die Weide den Dornstrauch, »warum du nach den Kleidern des vorbeigehenden Menschen so begierig bist? Was willst Du damit? Was können sie dir helfen?«
»Nichts!« sagte der Dornstrauch. »Ich will sie ihm auch nicht nehmen; ich will sie ihm nur zerreißen.«“
Gotthold Ephraim Lessing, „Fabeln * Drei Bücher“ (Zweites Buch), 1759.
„Ein Besonderes, insofern wir das Allgemeine anschauend in ihm erkennen, heißt ein Exempel.“
Ders., „Abhandlungen * I Von dem Wesen der Fabel“, 1759.
Bedenkenlose Ruppigkeit gilt gemeinhin als Stärke, bedachte Freundlichkeit als Schwäche; Oberflächlichkeit hat den Vorteil, nicht allzuviel wissen und verantworten zu müssen; schnelles Handeln statt Rücksichtnahme sichert die ersten der (raren) guten Plätze; spontane Emotionalität schützt vor einem gefährlichen Maß an kritischer Rationalität; Lügen haben zwar laut Überlieferung kurze Beine – aber wer vertraut schon Überlieferungen?
Laut Kurt Tucholsky stünden manche Leute lieber in der Ersten Klasse, als daß sie in der Dritten Klasse säßen.
Des Alltags Zustände halten viele Exempel (s.o.) dafür bereit, wie die Allgemeinheit, das Wesen unserer Gesellschaft, verfaßt ist.
Das ist, wie alles im menschlichen Leben, erkennbar, kritisierbar und veränderbar, ergo: Eine Angelegenheit des Verstandes und der Entscheidung, ihn zielgerichtet einzusetzen.
Solidarität ist gemäß Erkenntnis und Erfahrung eine kooperative Handlungsweise, die darauf gerichtet ist, gemeinschaftlich dafür zu wirken, menschenwürdige Lebensverhältnisse zu schaffen. Von der Mehrzahl für die Mehrzahl.
Kollegialität ist, gemessen an der Freude des Handelns und dem Sinn des Ergebnisses, eine Arbeitsweise, die von der Einsicht in die Nützlichkeit des gemeinsamen Wirkens geleitet ist.
Da die Welt, wie sie ist, nicht so bleiben kann, sollte anders als egoistisch gedacht werden.
Freundlichkeit könnte also heißen, nachdrücklich für freundliche Zustände zu sorgen.
„Das Ross und der Knabe
Auf einem feurigen Ross floh stolz ein dreuster Knabe daher. Da rief ein wilder Stier dem Rosse zu:
»Schande! Von einem Knaben ließ ich mich nicht regieren!«
»Aber ich«, versetzte das Roß. »Denn was für Ehre könnte es bringen, einen Knaben abzuwerfen?«“
Gotthold Ephraim Lessing, „Fabeln“, a.a.O.
3. Zum Geleit LXXIV
Auffällig und ärgerlich ist der Bürokratismus fortgesetzt handelskammerhöriger Politik im Rathaus: Die „Schuldenbremse“ negiert die vernünftige Orientierung an den sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Mehrheit. Die Negation der Negation ist, die Chose gemeinsam selbst in die Hand zu nehmen. Darum macht sich der Akademische Senat daran, in Kooperation mit den dezentralen Gremien Leitlinien der Hochschulentwicklung zu erarbeiten.
Vom Grunde her
oder
Der Mut zur Philosophie
1) Gott ist nicht notwendig
„Schöpferisch muß man folglich in ‚relativem‘ Sinn verstehen, als Denken, welches die Empfindungsweise der größten Zahl und folglich der Wirklichkeit selbst verändert, die ohne diese größte Zahl nicht gedacht werden kann. Schöpferisch auch in dem Sinne, daß es lehrt, wie es keine für sich stehende ‘Realität’ gibt, an und für sich, sondern in geschichtlichem Bezug auf die Menschen, die sie ändern usw.“
Antonio Gramsci, „Gefängnishefte“, Heft 11 (1932-1933), § 59 „Was ist Philosophie?“.
Der triftige Gedanke wird für die Mehrheit zur freudigen Tat als menschliche Gestaltung einer grundlegend verbesserungsbedürftigen Welt. So werden die 99 Prozent Wirklichkeit.
2) Die (Kenntnis der) "Seele" als Faktor
„Die analytische Einsicht ist weltverändernd; ein heiterer Argwohn ist mit ihr in die Welt gesetzt, ein entlarvender Verdacht, die Verstecktheiten und Machenschaften der Seele betreffend, welcher, einmal geweckt, nie wieder daraus verschwinden kann.“
Thomas Mann, „Freud und die Zukunft“, 1936.
Es gibt ein Unbehagen, das, wenn man den Ursprung ermittelt, sehr produktiv sein kann, um sich aufzurichten und sich diese Haltung dauerhaft zu eigen zu machen.
3) Der eigentliche Sinn
„Wenn man nicht nach Genuß strebt, nicht das Beste aus dem Bestehenden herausholen will und nicht die beste Lage einnehmen will, warum sollte man da kämpfen?“
Bertolt Brecht, „Me-ti * Buch der Wendungen“, „TU will kämpfen lernen und lernt sitzen“, entstanden in den 1930er Jahren des Exils.
Woran ist die Schlüssigkeit einer persönlich-gemeinschaftlichen Lebenskonzeption zu erkennen? An der Stellung der Mundwinkel. (Anti-Merkel)
4) Fülle des Wohllauts
„Wegen ungünstiger Witterung fand die deutsche Revolution in der Musik statt.“
Kurt Tucholsky, „Schnipsel“, 1930.
Man warte nicht auf bessere Witterung – die passende Musik ist schon vorhanden.
4. Zum Geleit LXXV
Bildung (für Alle!) als Persönlichkeitsentwicklung im Zusammenhang mit gesellschaftlichem Fortschritt ist ein menschliches Bedürfnis. Das hat auch der uniweite „Dies Academicus“ zur Studienreform gezeigt: Marktmacht wird abgelehnt. Es geht für alle um eine:
Bekömmlichere Laufrichtung
Man schadet sich und seinesgleichen,
Derweil man boxt und rennt und giftet –
Denkt, so ließe sich mehr erreichen,
Obgleich der Markt stets alle richtet.
Zufrieden?
Wer weiter rennt und hält nicht inne
In diesem roh-wunderlichen Spiel,
Dem schwinden nach und nach die Sinne:
Wer grausam bleibt, isoliert sich viel.
Genug?
Der Markt ist Platz der Eitelkeiten,
Allgemeinwohl stellt hier niemand her.
Wer nicht mehr kann, der geht beizeiten –
Ein grinsend Spott fragt nicht wie noch wer.
Wandel?
Jedoch der Abstand wächst im Zweifeln;
Wenn durch Vernunft und Tat wir einig,
Wenn jeder tut die Sach’ begreifeln,
Dann hat Bedeutung im Nu das Ich.
Bon.
Die Richtung also ist entscheidend –
Woher, wohin, mit wem, frag: Wozu? –,
Das Dasein ist nicht länger leidend,
Über den Gipfeln gibt’s keine Ruh’.
Bonbon.
Olaf Walther
5. Zum Geleit LXXVI
In der Universität rumort es allerorten wegen der neuen Kürzungsvorgaben des politischen Senats. Der akademische Senat positioniert sich dazu kritisch und ermuntert alle Mitglieder der Uni, sich dem anzuschließen. Wie, wo und wohin muß aber im weiteren noch geklärt
werden:
Welt und Wahrheit
Eine Verbindung
1) Hoch und niedrig
„selbst die routiniertesten hollywoodschreiber, die seit 10 Jahren ein script nach dem anderen produzieren, verspüren in einer gewissen phase eines jeden scripts immer wieder die hoffnung, diesmal könnten sie etwas besseres, nicht ganz so niedriges durchbringen, durch diese oder jene list, dank dieses oder jenes glücksumstands. diese hoffnung wird immer enttäuscht, aber ohne sie können sie ihre arbeit nicht machen - und die niedrigen und schmutzigen filme entstünden nicht.“
Bertolt Brecht, „Arbeitsjournal“, 25.10.1942.
Geht der Preis nach oben, so sinken die Gedanken. Die Börse ist ein schlechter Ratgeber. Analytische Gewinne sind hier nicht zu machen.
2) Zu den Quellen
„Wenn Sie wirklich die Wahrheit kennen lernen wollen, halten Sie sich an die unmittelbaren Quellen, lesen Sie die Schriften derer, die ausfressen mußten, was andere ihnen eingebrockt haben. Da werden Sie sehen, wie es wirklich gewesen ist.“
Kurt Tucholsky, „Wie war es-? So war es-!“ („Sehr geehrter Herr Professor!“), 1928.
Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte des Ringens um Verbesserungen. Die Verneinung des Elends schafft auch geistige Gewißheit. Der Veränderungswille schafft neue Erkenntnisse.
3) Irdisch
„Schon hier auf Erden möchte ich durch die Segnungen freier politischer und industrieller Institutionen jene Seligkeit etablieren, die nach der Meinung der Frommen erst am jüngsten Tage, im Himmel, stattfinden soll.“
Heinrich Heine, „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“, Erstes Buch, 1832.
Die Möhre vor der Nase des Esels soll ihn bewegen, ohne daß er je etwas bekäme. Sind wir Esel?
4) Welt und Wahrheit
„Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen der Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg [Weltschöpfer] des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts anderes als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.“
Karl Marx, Nachwort zur zweiten Auflage des Kapitals, 1873.
Sind die Gedanken so wieder auf die Füße gestellt, läßt sich die erkannte Welt auch zum Besseren verändern. Die Tat hat eine feste geistige Grundlage.
6. Zum Geleit LXXVII
Die Universität schafft sich mit einem „Zentrum für Nachhaltigkeit“ einen Zusammenhang zur Reflexion der gesellschaftlichen Verantwortung von Bildung und Wissenschaft. Klar ist: Perspektive schafft allein die humanistische Sozialkritik. Wie weit aber können sich Alle am besten dazu verhalten? – Es ist Tauwetter.
Großes ABC
„Wer hört Entschuldigungen, wenn er Handlungen hören kann?“ (139)
Georg Christoph Lichtenberg, „Sudelbücher“, Heft C, 1772-1773.
Aller Anfang atmet außerordentlich angstamtlich Argwohn, als ahnten alle Anfangenden allen Anfangs Angst aus alten Ahnen aufbewahrter Achtung auf ambitionierte Arbeit als anstößig.
Bei behender besonderer Betrachtung beliebter Beispiele bedürftigen Blickens bleibt bereits beileibe braves Bedauern bald bleiern – bedeutet: bedeutungslos – beim Boden.
Circensischer Coup crasser Couleur charakterisiert classisches chorisches Contra: Change!
7. Zum Geleit LXXVIII
In der andauernden Auseinandersetzung mit der Landesregierung um die mangelhafte Grundfinanzierung der Hochschulen sowie in der Studienreform können alle lernen, daß partikulare Vorteile für Alle nur die Chancen auf substantielle Verbesserungen mindern. Manche Unterlassung schafft schon eine neue kulturelle Qualität:
Vermeidbare Mühsal
Die Grube ist noch gar sehr klein,
Man will sie größer haben.
Dem schaden soll, wer fällt hinein,
Mußt also tiefer graben.
Doch man vergaß die Leiter lang,
Die auf den Weg ihn brächte.
Nun ist ihm ganz entsetzlich bang;
Sein böser Drang sich rächte.
Da hockt er tief, das Leid ist groß,
Es stellt sich hier die Frage:
Wenn er gelassen hätt’ dies bloß,
Hätt’ er dann diese Plage?
Im Grunde weiß ein jedermann:
Auf Wegen ohne Löcher
Ein jeder besser gehen kann –
Man schreitet noch und nöcher.
Am besten ist’s, man denkt, bevor
Ein eifrig Werk begonnen.
Wer stets bedenkt, was nachher kommt,
Ist meist nicht so beklommen.
Olaf Walther
8. Zum Geleit LXXIX
Der soziale Konflikt zwischen gesteigerter privater Bereicherung und wachsender öffentlicher Armut macht keinen Urlaub. Deshalb sind auch die Mitglieder der Uni gefragt:
Flucht oder sinnvolle Beteiligung?
1) Goldland
„Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
Gerühret von ihrem Spiele.
Sie sang von Liebe und Liebesgram,
Aufopfrung und Wiederfinden
Dort oben, in jener bessern Welt,
Wo alle Leiden schwinden.“
Heinrich Heine, „Deutschland – Ein Wintermärchen“, 1844, Caput I.
El Dorado („Der Goldene“) galt lange Zeit als ein sagenhaftes Goldland im Inneren des nördlichen Südamerika. Der Aufklärer Alexander v. Humboldt widerlegte ca. 1800 diese sehnsüchtige Illusion.
Heutzutage haben Ikea und Fantasy-Games dieselbe Funktion. Auch die Bundeskanzlerin ist um glaubhafte Märchen bemüht. „Sachzwang“ als Sage.
2) Ganz gleich: Himmel oder Gestrüpp
„Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den alten Lümmel.
Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.“
Heinrich Heine, a.a.O.
Die „Schuldenbremse“ ist schlicht ein Verzichtsprogramm. Die öffentlichen
Einrichtungen für Bildung, Soziales, Gesundheit und Kultur sollen abmagern. Der Zinsenfetisch soll Mainstream der Politik sein. Mentale Fluchtpunkte für die Mehrheit haben ihre Funktion.
3) Bodenhaftung
„Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.
Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.
Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.“
Heinrich Heine, a.a.O.
Rein irdisch betrachtet, sind die Ansprüche schon vorhanden, die verwirklicht werden müssen. „Der Kampf um die Zukunft“ kann fortgesetzt werden. „Hunger ist ein schlechter Koch.“ (Bertolt Brecht) Wir haben Erfahrungen.
4) Fortschritt durch Wohlklang
„Ein neues Lied, ein besseres Lied!
Es klingt wie Flöten und Geigen!
Das Miserere ist vorbei,
Die Totenglocken schweigen.“
Heinrich Heine, a.a.O.
Heine hat ganz einfach recht.
9. Zum Geleit LXXX
Im Widerspruch zum Auf und Ab auf „den Märkten“: Die Bedeutung der Persönlichkeit wächst mit ihrem Engagement für die allgemeine Emanzipation. Beweise werden erbracht.
Kleine Fabelkunde
„Denn die anschauende Erkenntnis erfordert unumgänglich, daß wir den einzeln[en] Fall auf einmal übersehen können; können wir es nicht, weil er entweder allzuviel Teile hat oder seine Teile allzuweit auseinanderliegen, so kann auch die Intuition des Allgemeinen nicht erfolgen.“
Gotthold Ephraim Lessing, „Abhandlungen über die Fabel“, 1759.
Adler:
Jäh schwingt sich die strenge Majestät hoch in die Lüfte, um dann doch immer wieder auf festem Grund zu landen.
Biene:
Sie gilt berechtigtermaßen als fleißig, lebt aber nur kurz und in einem strengen Staat.
Chamäleon:
Hier ist der Meister der Anpassung; er kann seine Farbe dem Untergrund angleichen und mit den Augen um die Ecken schauen, ist aber wenig wohl gelitten.
Dinosaurier:
Er hatte ungeheure Größe - und ein zu kleines Hirn.
Elefant:
Das - allegorische - Lieblingstier von Bertolt Brecht: Stark, klug, sensibel; groß, schnell - und er versteht Spaß.
Fliege:
Sie ist klein und lästig, liebt den Mist und ist sehr schwer zu fassen.
Gänse:
Wenn sie umständlich am Boden watscheln, erzeugen sie Lächeln. Fliegen sie in der Formation gen Süden, machen sie eine gute Figur.
Hund:
Da seine historischen Vorfahren in Freiheit leben, hat er stets ein schlechtes Gewissen.
Igel:
Die figürliche Defensivität ist seine runde Sache. Im Duett besiegt er auch den rennenden Hasen.
Jaguar:
Er ist schnell und aggressiv, muß sich aber dem Tiger unterordnen.
Kamel:
Wenn auch nicht sehr klug, so doch sehr ausdauernd.
Lama:
Spucken gilt - zu recht - als primitiver Ausdruck der Verachtung.
Maus:
Wer schnell rennen kann, sollte die richtige Richtung wählen.
Nachtigall:
Die Unsinnigkeit schönen Gesanges konnte bislang noch nicht bewiesen werden. Erhebend.
Otter:
Er verzehrt seine Nahrung (auf dem Rücken schwimmend) in bequemer Haltung.
Papagei:
Die Sprache ist des Vogels Element - allerdings in steten Wiederholungen.
Quappe:
Der Larve ist noch nicht anzusehen, was einmal aus ihr wird. Dafür muß man das Ergebnis kennen.
Ratte:
Da sie als unangenehm gilt, wird ihre Klugheit meist nicht (an-)erkannt.
Schlange:
Ihr wird Falschheit unterstellt, dabei ist sie nur ängstlich. Dennoch: Obacht.
Tausendfüßler:
Es ist erstaunlich, wie gut die Vielzahl aufeinander abgestimmt ist.
Uhu:
Da dem Vogel Weisheit zugemessen wird, ist es gut, sie auch in Athen zu vermuten.
Vielfraß (Bergkatze):
Wenn Mißgunst dominiert, haben alle nicht genug.
Wal:
Es gibt Tiere, die kommunizieren und kooperieren. Welch eine Herausforderung!
X:
Unbekannte (zu bestimmende) Größe.
Yak:
Das Tier lebt im asiatischen Hochgebirge und verteidigt sich gut gemeinsam gegen Fressfeinde.
Ziege:
Wer nur meckert, erreicht wenig. Wer gar nicht meckert, bekommt Magenschmerzen.
Der Mensch ist also bei der Verwirklichung des Menschlichen
auf sich selbst (und seinesgleichen) angewiesen. Q.e.d. (Quod erat demonstrandum/Was zu beweisen war.)
10. Zum Geleit LXXXI
Die Hamburgische Bürgerschaft hat nun erstmals unter Akzeptanz der bankenfreundlichen „Schuldenbremse“ und mit einer SPD-Mehrheit der ganzen Stadt einen Kürzungshaushalt auferlegt. Der Akademische Senat zieht daraus die Konsequenz, daß sich die Universität stärker stadtpolitisch für Verbesserungen engagieren und dafür Bündnisarbeit mit Aktiven aus z.B. Sozial- und Kultureinrichtung machen muß. So gilt, jetzt und auch
später:
Es ist nie zu spät
Wer durch sein ganzes Leben stets
An Schicksal glaubt und höh’re Mächte,
Der meint, mit Ordnung täglich geht’s,
Die ihm den eig’nen Vorteil brächte.
Niemals Zweifel?
Dann kommt der Tag, wo man sich dann,
Mit klarem Blick und ohne Strenge,
Ganz deutlich sieht und sagen kann:
Fort und hinaus aus dieser Enge!
Der Zweifel eigentlich ruht nie,
Auch wenn wir daran sollen glauben,
Daß Leben in Demokratie
Sei nur Verzicht und ohne Trauben.
Neue Gewißheit?
Wachsam sein, heißt wohl zu wissen,
Daß Egoismus ist kein Genuß,
Genügsamkeit ein hartes Kissen –
Und daß der Mensch sich regen muß.
Immer.