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Politik – Wer bestimmt das Allgemeine Wohl?
„Das Wort Finanzen ist ein Sklavenwort und in einem wirklichen Gemeinwesen unbekannt. (...)
Je vollendeter die Staatsverfassung ist, desto mehr überwiegen die öffentlichen Angelegenheiten in den Augen des Staatsbürgers die privaten. Es gibt dann sogar weit weniger Privatangelegenheiten, weil von der Summe der allgemeinen Wohlfahrt ein weit beträchtlicherer Teil auf die des einzelnen übergeht, und derselbe deshalb durch eigene Sorge weit weniger zu erringen braucht. In einem gut verwalteten Gemeinwesen eilt jeder zu den Versammlungen; unter einer schlechten Regierung hat niemand Lust, auch nur einen Schritt darum zu tun, weil an dem, was dort vorgeht, niemand Anteil nimmt. Es lässt sich voraussehen, dass der allgemeine Wille dort nicht zur Herrschaft gelangen wird, und die häuslichen Sorgen keine anderen Interessen zulassen. Aus den guten Gesetzen gehen noch bessere hervor, aus den schlechten noch schlechtere. Sobald man bei Staatsangelegenheiten die Worte hören kann: »Was geht das mich an?«, kann man darauf rechnen, dass der Staat verloren ist.“
Jean-Jacques Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag oder Die Grundsätze des Staatsrechts, Buch III, Kap. 15, 1758.
In Kürze sollen für die Universität zwei neue Vizepräsidenten bestimmt werden. Die Vizepräsidenten und der Präsident sollten eigentlich ein demokratisches Kollektiv zur konsensorientierten Leitung der Universität bilden. Von 1969 bis 2001 kam den Präsidenten vor allem die Funktion reformerischer Initiative nach Innen und einer demokratisch legitimierten Repräsentanz der universitären Einheit nach Außen zu, während die Vizes – selbständig verantwortlich für Ressorts wie Studium & Lehre oder Internationales – für eine lebhafte Debatte über das Selbstverständnis der Universität und entsprechend kooperative Gestaltung sorgten. Alle Präsidiumsmitglieder wurden von den Mitgliedern repräsentativer universitärer Gremien in freier, öffentlicher Wahl bestimmt. Vizepräsidenten konnten auch aus den nichtprofessoralen Gruppen gewählt werden.
Seit der unternehmerischen Umstrukturierung der Hamburger Hochschulen ab 2001 soll das Präsidium hingegen einem Unternehmensvorstand gleichen. Der Präsident wird vom wirtschaftsnahen Hochschulrat („Aufsichtsrat“) eingesetzt und sucht sich „seine“ Vizes selbst. Der hierarchischen Strukturierung entspricht eine Abwertung demokratischer Gremien, die die Auswahl abnicken dürfen. Ein „Kanzler“, der quasi Chef- Controller ist, wurde dem Leitungsorgan hinzugefügt. Diese Konstellation legt einen betriebswirtschaftlichen Anordnungsstil nahe. Die Kaskade konkurrenzhafter Subordination: Standort – Universität – Fakultät – Lehrende – Beschäftigte - Studierende.
Das ist ein eng beschränktes Selektionsprinzip, unproduktiv und unerfreulich. Vor allem aber ist es durch lebhaften Widerstand gründlich in Frage gestellt. Jetzt wird es – wieder im Interesse der Handelskammer – nur noch gemäß dem Dogma der „Schuldenbremse“ wenig mutig beibehalten. Mangel und Konkurrenz werden damit künstlich (z.B. zwischen Fakultäten und Fächern) reproduziert.
Der Unmut darüber wächst und sollte befreiend politisch gewendet werden: Durch Solidarität und offen argumentativen Meinungsstreit für die Universität als wissenschaftliche Einheit der Aufklärung und Humanität für die Gesellschaft. Demokratie bedarf eindeutig menschenwürdiger Ambition, aufgeklärter Überzeugung, kritischen Engagements und dafür förderlicher Strukturen. Die Schuldenbremse gemeinsam lösen zu wollen, gehört dazu.
Die anstehende Findung (Wahl?) von Vize-Präsidenten sollte Teil einer solchen Kultivierung sein: durch eine offene Diskussion über die universitären Herausforderungen (Studienreform, Struktur- und Entwicklungsplanung, Überwindung der Unterfinanzierung, Hochschulbau etc.). Sinnvolle Kriterien einer kollegialen Leitung sind daraus ebenso zu realisieren wie eine transparente Kandidatenfindung und Meinungsbildung im (hochschulöffentlichen) Akademischen Senat als dem höchsten demokratisch gewählten Uni-Gremium. Der seit über drei Jahren – durch Uniproteste und ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts – eindeutig erforderlichen Demokratisierung der Hochschulen muß der politische Senat mit einer Novelle des Hochschulgesetzes dann zügig entsprechen.