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Zwangsexmatrikulation:
Eine Kontroverse um das Menschenbild

„Exmatrikulation: […] Die Gründe sind Folgende: Erstens: Hochschulmitglieder als Studierenden wird dadurch eher Angst gemacht als eine Erleichterung geschaffen in der Erreichung des Studienendes. Zweitens: Die Kapazitäten werden dadurch nicht beansprucht, dass sie länger studieren. Drittens: Es könnte auch sein, dass man die Lebensbedürfnisse der heutigen Generation noch mehr als früher beachten muss. Es können sich ja auch ein paar Abgeordnete einmal selber angucken. Die haben berufliche Verpflichtungen und private, die sie bis an den Rand „Das geht nicht mehr“ beanspruchen und die es schwer machen, in einer bestimmten Regelstudienzeit zu studieren. Mit anderen Worten und generalisiert: Wir haben an den Hochschulen ein Teilzeitstudium. Das ist noch nicht richtig eingeführt in Deutschland, aber es kann auch doppelt so lange dauern wie bisher. Im Blick daraus würde ich empfehlen, das auch nicht zu tun. Und dann gibt es noch ein paar überständige Existenzen. Die gibt es immer in jedem System. Und jetzt ist die Frage, soll man im Verhältnis von 1:4 – vier Gründe dagegen, einer dafür – dieses Instrument anwenden. Ich würde es nicht empfehlen.“

Peter Fischer-Appelt, Uni-Präsident a.D. (1970-1991) in der Sachverständigenanhörung des Wissenschaftsausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft am 14.4.2014.

Um das neue Hochschulgesetz gibt es einen fundierten Streit. Von Studierenden, Hochschulgremien, Gewerkschaften und Friedensbewegung wird für eine Erneuerung welt- und menschenzugewandter Bildung und Wissenschaft, die zu einer sozialen, demokratischen, friedlichen und zivilen Entwicklung der Gesellschaft beitragen, gewirkt. Das ist in zahlreichen Stellungnahmen und auch in der öffentlichen und der Expertenanhörung des Wissenschaftsausschusses zum Ausdruck gebracht. Die Landesregierung hat aber Schwierigkeiten, sich vom Leitbild der „Unternehmerischen Hochschule“, einer neoliberalen Hinterlassenschaft des CDU/Schill/FDP-Senats von 2003, zu verabschieden.

Typisch für diese Kontroverse ist der Konflikt um die „Zwangsexmatrikulation“. Sie ist 2003 als „Kann-Bestimmung“ eingeführt worden. Den Hochschulen wurde „freigestellt“, Studierende, die die doppelte Regelstudienzeit überschreiten oder „der Hochschule schweren Schaden zufügen“, rauszuschmeißen. Wohlweislich haben die Hochschulen von diesem „Recht“ keinen Gebrauch gemacht: ein vertrauensvolles Lern-Lehr-Verhältnis, echte Problemlösung in der Überwindung von Bildungshürden und die Beseitigung des Bologna-Desasters kann nur durch kooperative Verbesserungen und ernsthafte Anteilnahme an Mitmenschen und Weltgeschehen gelingen. Mittels Einschüchterung ist schlecht Lernen. Die „Überwachung“ von Studierenden ist unproduktiv.

Die Landesregierung will diese Regelung dennoch zum „Muss“ verschärfen: Wer vier Semester keine Veranstaltungen abgeschlossen habe, die doppelte Regelstudienzeit überschreite oder unbotmäßig sei, müsse weichen, so er/sie sich nicht bittend als „Härtefall“ präsentiere. Allein an der Universität wären mindestens 2.500 Studierende von diesem Unfug unmittelbar betroffen; gemeint sind mit dieser Drohung aber alle. Die einmütige Ablehnung dieser Verschärfung aus den Hochschulen wurde bisher mit dem Verweis auf eine – nicht nachweisbare – „Fehlallokation“ (!) von Mitteln übergangen. Dabei sollten sich jedoch die Förderer von Garantien für die HSH-Nordbank (500 Mio €) oder der Elbphilharmonie (knapp 1 Mrd. €) andere Sorgen machen.

Hier wird also die Enge des Regierens mit der Schuldenbremse und das Menschenbild des „homo oeconomicus“ verteidigt: Alle sollen sich brav dem ökonomischen Verwertungsprozeß zur Verfügung stellen, anstatt nützliche Gedanken zu entwickeln, sich für politische, soziale, kulturelle Verbesserungen zu engagieren, d.h. durch die eigene Verantwortung soziale Lebensfreude zu entwickeln.

Damit fehlt dem Gesetzentwurf, was gesellschaftlich vorwärts weist und drängt: Der begonnene Reformprozess in Studium und Lehre für kooperatives Lernen und kritische Bildung – Wahrheitsfindung und Problemlösung an weltoffenen und demokratischen Hochschulen gelingen durch entsprechendes Engagement. Menschen schaffen ihre Lebensverhältnisse selbst.

Zusammen – in Bewegung.