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Demokratie: Sozialer Gehalt und schöne Gestalt
„Man wird sagen, es sei recht wenig, was das einzelne Individuum seinen Kräften gemäß zu ändern vermag. Was nur bis zu einem gewissen Punkt stimmt. Denn der einzelne kann sich mit all denen zusammenschließen, die dieselbe Veränderung wollen, und wenn diese Veränderung vernünftig ist, kann der einzelne sich in einem imponierenden Ausmaß vervielfachen und eine Veränderung erzielen, die viel radikaler ist, als es auf den ersten Blick möglich erscheint. Gesellschaften, denen ein einzelner angehören kann: sie sind sehr zahlreich, zahlreicher, als es zunächst scheint. Durch diese »Gesellschaften« hat der einzelne teil am Menschengeschlecht.“
Antonio Gramsci: Mensch als Ensemble seiner Verhältnisse; Individuum – Bewusstsein – Gesellschaft, Gefängnishefte, B6, H10/II, §54.
Die Universität Hamburg ist eine große Einrichtung und im Prinzip demokratisch: In den Fächern, Fakultäten und der gesamtuniversitären Ebene kommen regelmäßig gewählte Vertreter_innen aller Gruppen (Hochschullehrer_innen, Wissenschaftliche Mitarbeiter_innen, Technisches-, Verwaltungs- und Bibliothekspersonal sowie Studierende) zusammen, um entscheidende Fragen – von der Lehrplanung bis zum gesellschaftsbezogenen wissenschaftlichen Leitbild – zu diskutieren und Entscheidungen zu treffen.
Die Universität als Republik ist eine Errungenschaft gesellschaftlich progressiven Engagements. Die soziale Öffnung der Hochschulen seit den 1960er Jahren für mehr und mehr Schulabsolvent_innen aus allen Teilen der Gesellschaft und deren (unzureichend verwirklichte) Beteiligung an der demokratischen Selbstverwaltung ermöglicht durch die Mitglieder selbst, die wesentlichen relevanten gesellschaftlichen Fragestellungen – z. B. die Herausforderungen nützlicher und nachhaltiger Produktion sowie die Friedensbildung – zu thematisieren und engagiert durchzusetzen. Die Uni Hamburg hat zudem den Vorzug, als sogenannte „Volluniversität“ ein Fächerspektrum abzudecken, das eine ziemlich umfassende analytische Reflexion der Welt und ihrer natürlichen Grundlagen sowie sozialen Geschichte ermöglicht. Seit langem deutlich über 40.000 Studierende sowie entsprechend Absolvent_innen und andere Mitwirkende sind als assoziiert wirkende Persönlichkeiten ein gesellschaftlicher Faktor für eine aufgeklärte Kulturbildung und soziale Entwicklung in der Gesellschaft.
Was ist aber unzureichend verwirklicht?
Demokratische Partizipation ist unter den politischen Vorgaben, die zudem den ökonomischen Vorstellungen der Handelskammer folgen, begrenzt: Gelingt es, die Beengung von „Ba“ und „Ma“ zugunsten solidarischen Lernens, eines weiter geöffneten Hochschulzugangs und selbstbewußter Artikulation der Studierenden zu verlassen? Beseitigen wir gemeinsam die „Schuldenbremse“? Oder können wir nur entscheiden, was wann wie gekürzt und gestrichen wird? Gelten Kennzahlen und Drittmittelerfolge als vorrangig gegenüber begründeter Entscheidungen für gesellschaftlich relevante, kritische Schwerpunktsetzungen? Und: Ist „Mitbestimmung“ auf Gremien begrenzt oder wird in Seminaren über Inhalt und Gestaltung des wissenschaftlichen Lehrens und Lernens freimütig dis-kutiert und gemeinsam entschieden?
Erwiesen ist: Unternehmerische Lenkung schadet der Wissenschaft. Aufklärung und sozialer Fortschritt sollten dagegen den universitären Alltag bestimmen.
Die lebendige Partizipation aller Hochschulmitglieder an Ziel, Inhalt und Gestaltung ihrer Einrichtung kann vorbildlich für viele andere gesellschaftliche Bereiche sein, nicht zuletzt für die sogenannte Wirtschaft.
Von der Mehrheit, im Interesse der Mehrheit gewinnen alle Verhältnisse menschliche Gestalt. Mit aufrechtem Gang.