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Das emanzipierte Leben befürwortend:
„Nie wieder!“ – Zum 70. Jahrestag der Pogromnacht
„Goethe hat gesagt: ›Der Handelnde ist immer gewissenlos; Gewissen hat nur der Betrachtende.‹ Das ist wahr, aber weil es wahr ist, muß der Betrachtende gewissenhaft sein auch noch für den Handelnden, – eine Forderung, die sich natürlich am glücklichsten erfüllt, wenn der Denkende und der Handelnde ein und dieselbe Person sind.“
Thomas Mann, „Vom kommende Sieg der Demokratie“, 1938.
Taten sind immer die jeweilige Konsequenz des Denkens. Die Qualität der Handlungen ist durch die Richtung bzw. Präzision der Gedanken vorbestimmt; sie sind ein soziales Verhältnis der Menschen zueinander. Zivilisation oder Barbarei.
Die Wissenschaften als analytische gesellschaftliche Systematisierung menschlicher Vernunft sollten also bewußt Rechenschaft über ihre Wirkung pflegen. Sie sind niemals „wertfrei“. Wahrhaftigkeit setzt die humane Verantwortung mündiger Wissenschaftssubjekte voraus. Ihre gesellschaftliche Lebensform ist notwendig sozial und politisch unbedrängt und demokratisch kooperativ. „Bildung für Alle“ als Verwirklichung einer gebildeten Menschheit, in der sich alle kooperativ im Einklang mit dem allgemeinen Wohl entfalten, bedarf deshalb auch der strukturellen Voraussetzungen.
Von diesen Grundsätzen war die Hamburgische Universität weit entfernt, als 1933 die Nazis die Macht erhielten. Ihre Gewaltherrschaft zur Beendigung sozialer Kämpfe, zur Versklavung der Bevölkerung und kriegerischen Expansion im Auftrage der gesellschaftlichen Eliten begann hier mit der Vertreibung sämtlicher Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus dem jüdischen Kulturkreis; kritisch couragierte Kollegen wurden sogleich mit verfemt und verfolgt. Als vor 70 Jahren in direkter Nähe zur Universität die Synagoge auf dem Bornplatz (jetzt: Joseph-Carlebach-Platz) geschändet wurde, galt die „Hansische Universität“ als „judenfrei“.
Wahrheit und Humanität sind die geistigen Gegner von Krieg und Diktatur. Sie sollten deshalb eliminiert werden. Der Gesellschaft das Menschsein gänzlich auszutreiben, konnte jedoch nicht gelingen.
Couragierte Widerständigkeit – an der hiesigen Universität durch den „Hamburger Zweig“ der studentischen Weißen Rose –, die engagierte Aufklärung der Vertriebenen im Exil, die mit Humanität geschmiedete Allianz gegen den faschistischen Raubkrieg – das alles hat dazu beigetragen, die gewaltige Deformation der Zivilisation durch den braunen Terror zu überwinden.
Mit der Befreiung von 1945 sind weltweit neue Herausforderungen der sozialen und politischen Progression, der friedlichen Entwicklung und des kritischen Engagements auf die geschichtliche Tagesordnung gesetzt worden.
Die damit verbundenen Vorhaben umfassender Abrüstung, einer sozial gerechten Weltordnung, der vollen Demokratisierung des sozialen und ökonomischen Lebens und der Zerstörung anti-humanistischer Mythen und Vorurteile zugunsten eines kooperativen internationalen Miteinanders sind allerdings noch längst nicht verwirklicht. Stattdessen sind Krieg und vorbehaltlose Geschäftemacherei zur Weltkrise angewachsen.
In dieser Lage ist umso dringlicher zu erinnern, daß politische Abstinenz und die Vermeidung der Parteinahme für die Schaffung menschenwürdiger Bedingungen die Zerstörung der Zivilisation fördert und beileibe niemanden davor schützt. Kurzfristige Opportunitäten sollten deshalb als Hindernisse einer aufgeklärten Solidarität erkannt, kritisiert und überschritten werden.
Kritische Wissenschaften – in Forschung, Lehre, Studium und Selbstverwaltung - sollten deshalb wieder auf der Tagesordnung stehen.
Aus der Geschichte ist zu lernen.