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„Protestieren Sie!“
„Neue Blicke durch die alten Löcher.“ (879)
Georg Christoph Lichtenberg, „Sudelbücher“, Heft F, 1776-1779.
Dies Academicus am 1.11.’17: Die Bereitschaft wächst, argumentativ, engagiert und qualifiziert für das Allgemeine Wohl zu streiten – untereinander um eine richtige Analyse der Verhältnisse und eine gute Strategie; gemeinsam gegen jene, die das Allgemeine Wohl mit Füßen treten. Der Dies Academicus unter dem Motto „Hochschulfinanzierung zwischen Sparta und Elysium“ war auf diese Weise ein Fortschritt.
Mit großem Wurf begründete der Gastprofessor und Historiker Florian Schui die Bedeutung von Bildung für alle und eröffnete die Debatte über den Unsinn der Kürzungspolitik: Nicht nur eine bedarfsgerechte Bildungsfinanzierung, sondern das Sozialsystem insgesamt bestimme „die Entfaltungsmöglichkeiten der Talente und Interessen der Individuen einer Gesellschaft“. Er wandte sich gegen die heutigen Parcours der wissenschaftlichen Bildung und Hochschullehrerlaufbahn, die mit Prekariat und Klientelismus Willkür nähren und Duckmäusertum produzieren. Historisch öffnete er den Blick für Etappen erheblicher sozialer Staatstätigkeit. Diese waren Phasen hoher Spitzen-, Vermögens- und Gewinnsteuern, die – entgegen aller neoliberalen Propaganda – immer besondere gesellschaftliche und auch wirtschaftliche Prosperität begünstigt haben. Mindestens seit es bürgerliche Staaten gibt, sind staatliche Kreditaufnahme und Schulden selbstverständlich, um die gesellschaftliche Entwicklung voranzubringen. Dagegen vertieft und verlängert die europäische „Austerität“ (= die Sparpolitik durch Mastricht-Vertrag, Fiskalpakt und „Schuldenbremse“) selbst in ökonomisch starken Ländern wie der BRD die 2007 ausgebrochene Krise. In Griechenland sinkt dadurch sogar die Lebenserwartung erheblich. Daher wird die „Austerität“ in immer mehr Ländern von der Bevölkerung in Frage gestellt: teils mit sozialer und teils mit beunruhigend nationalistischer Tendenz. Für Demokratie und Zukunft des Kulturraums Europa ist eine mutige soziale Krisenbeantwortung erforderlich.
Daher der Appell: „Protestieren Sie!“
Im Anschluß daran zeigten Kolleg*innen aus Hochschulforschung und Universitätsverwaltung, welchen Druck und Mangel die dauerhafte Unterfinanzierung der Hochschulen erzeugt. Für die Uni Hamburg gilt schlicht: Seit 1978 ist sie chronisch unterfinanziert. Allein im Zeitraum von 2013 bis 2020 wird die Universität 96 Mio. Euro Mindereinnahmen haben. Der Anteil der öffentlichen Grundfinanzierung ist im Verhältnis zu zweckgebundener Drittmittelförderung von 72% auf 60% (zwischen 2009 und 2016) zurückgegangen. Gleichzeitig wachsen die gesellschaftlichen Erwartungen und staatlichen Aufgaben für die Universität. Kurz gesagt: Auch wenn alle sich bemühen, erodieren die Grundlagen.
Also: „Informiert Euch!“
Der enorme Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Universität wurde in Workshops weiter beleuchtet. Dabei ging es z.B. um das Problem, daß die Bereitschaft zahlreicher Unimitglieder mit Bildung, Wissenschaft und Verwaltung zur Humanität, Demokratie und Zivilität der Gesellschaft engagiert beizutragen, staatlich und institutionell ausgenutzt wird.
Also: „Organisiert Euch!“
Auch der krasse Mangel an Studienplätzen war Thema: Er ist ein Einschnitt in die Grundrechte aller Bürger*innen, denn das Grundgesetz sieht die freie Wahl der Ausbildungsstätte und des Berufs für alle vor. Der „Numerus Clausus“ war in den 1970er eine pragmatische Antwort, als durch schnelle Bildungsexpansion eine hinreichende Ausstattung mit Mitteln, Räumen und qualifizierten Personal nicht leicht war. Jetzt aber hat er sich zum scharfen Selektionsinstrument und zur Behinderung von Hoffnungen, Engagement und Freundschaften entwickelt – im Bachelor und im Master:
„Engagiert Euch!“
Zum Abschluß diskutierten die Wissenschaftssenatorin, diverse Hochschulpolitiker, ein Student samt Publikum notwendige Konsequenzen: Wenig Aussicht hat, sich mit „Exzellenz-“ und Standort-Gehuber wichtig zu tun, um in der Konkurrenz um politisch verknappte Mittel mehr für die Uni rauszuholen. Davon unterscheidet sich wohltuend die Perspektive, die wissenschaftlichen und organisatorischen Fähigkeiten der Uni für eine Aufklärungskampagne gegen die Mythen von Knappheit, Reichen-Macht und allgemeiner Ohnmacht zu nutzen und öffentlich solidarisch für eine gerechtere Entwicklung von Reichtum und Fülle dieser Gesellschaft zu kämpfen.
Die grüne Wissenschaftssenatorin hält unter dieser Bedingung auch für möglich, in den nahen Verhandlungen über den Hamburger Haushalt etwas erreichen zu können.