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Von der Nutzungsvision zur Architektur des Geistes?
„Ü 35“ – Geschichte, Gegensätze und mögliche Gestaltung
„In einer Zeit, wo eben kleinbürgerliche Kunstauffassungen in der Regierung herrschten, wurde G. Keuner von einem Architekten gefragt, ob er einen großen Bauauftrag übernehmen solle oder nicht. ›Hunderte von Jahren bleiben die Fehler und Kompromisse in unserer Kunst stehen!‹ rief der Verzweifelte aus. G. Keuner antwortete: ›Nicht mehr. Seit der gewaltigen Entwicklung der Zerstörungsmittel sind eure Bauten nur Versuche, wenig verbindliche Vorschläge. Anschauungsmaterial für Diskussionen der Bevölkerung. Und was die kleinen scheußlichen Verzierungen betrifft, die Säulchen usw., lege sie als überflüssig an, so daß eine Spitzhacke den großen reinen Linien schnell zu ihrem Recht verhelfen kann. Vertraue auf unsere Menschen, auf schnelle Entwicklung!‹“
Bertolt Brecht: Geschichten vom Herrn Keuner, F.a.M. 1972 (1955).
Die Geisteswissenschaften sind mehrheitlich vorübergehend versetzt worden: Raus aus dem vitalen und geschichtsreichen Grindelviertel mit allen Verbindungen zu anderen Fakultäten und Weltfragen in die technokratisch erschöpft anmutende „City Nord“. Das Gebäude im Überseering 35 (Ü 35), das während der Sanierung des Philturms Raum gibt, ist ein Konzernbau der 1960er Jahre, multifunktional, sehr geräumig, ziemlich hell, Teil einer damaligen stadtplanerischen Zukunftsvision, aber auch fremd, steril und abweisend in oft menschenleerem Umfeld.
Obgleich es positiv ist, dass die „Philturm-Bewohner“ mit diesem Umzug zusammenbleiben konnten und auch gelungen ist, die Studierendenwerks-Mensa mitzunehmen, ist das Fremdeln mit dem Gebäude spürbar und Alltagsgespräch. Es mangelt an studentischen Räumen, an Zufuhr mit Frischluft (Klimaanlage + Sparauflagen!), an einfachen Wegen, Ausschilderung, Offenheit, Orten zum gesprächigen Zusammensitzen, aber auch an Eroberungswillen der Unibevölkerung. Wer schließt die Räume auf und lässt sie offen? Wer hängt Plakate auf? Wer öffnet gründlich die „Vereinzelungsanlage“ am Eingang und die Türen zu Durchgängen, Balkonen und Terrassen?
Mancher Unmut und Streß entlädt sich – meist verbal – daher an Äußerlichkeiten. Das Gebäude ist aber nicht „schuld“ an Ba/Ma-Enge, minderer Relevanz von Lehrveranstaltungen, Bürokratie und unguten Lehr-/Lernbedingungen. Gleichwohl ist es mehr als ein Symbol einer Übergangsphase zwischen neoliberaler Privatisierungsdoofheit und demokratischem Aufbruch: Einerseits ist erkämpft, dass der Philturm endlich saniert wird, andererseits liegt die Verfügung über die Gestaltung der Uni-Räume kaum in der Hand der Uni-Mitglieder, sondern beim Besitzer von „Ü 35“ (Ergo-Versicherung) bzw. bei der städtischen, aber durchaus kommerziell wirkenden Sprinkenhof GmbH im Falle des Philturms – eine Folge der „Spar“-Politik des Senats.
So bewegen sich alle im Spannungsfeld zwischen geistig-praktischer, demokratischer Aneignung ihres Arbeits-, Lern- und Lebensfeldes und kommerziell fremdbestimmten Rahmenbedingungen. „Ü 35“ wurde für die Öl-Firma Shell errichtet, aber unter dem Druck organisierter Angestellter und progressiver gesellschaftlicher Einflüsse nicht rein repressiv gestaltet. Jetzt muss das Haus sich für universitäre Zwecke angeeignet werden. Die kulturbildenden Ansprüche, die daraus erwachsen, sollten in die Planungen der Philturmsanierung einfließen. Das macht die kulturgeschichtliche und sachlich-funktionale Auseinandersetzung mit Potential und Grenzen von Orten und Gebäuden nötig, damit sich mehr „Betroffene“ einmischen und zu Gestaltern ihrer gemeinsamen Wirkungsstätte werden können. Wir laden daher ein zu Vortrag und Diskussion.
Michael Holtmann ist Stadtplaner und Architekt. An der Hochschule für bildende Künste und der Universität studierte er von 1969-1975. Danach folgten vielfältige Tätigkeiten als Lehrender, Architekt, Stadtplaner, Berater und Publizist. Seine Schwerpunkte liegen dabei in der Stadt- und Universitätsbaugeschichte, der Stadtplanung und der Beschäftigung mit Großbauvorhaben. Mit der Universität ist er besonders verbunden als ehemaliger für die Uni zuständiger Stadtplaner und Berater in Eimsbüttel sowie als Leiter der Bauabteilung der Uni, Mitstreiter für „Uni bleibt!“ (im Grindelviertel), als Lehrender und Nachbar.
Das BAE! lädt ein zu Vortrag und Diskussion
„Ü 35“ – Geschichte, Gegensätze und mögliche Gestaltung
mit Michael Holtmann
am Dienstag, 30.1.2018, 16 Uhr, im Überseering 35.
Alle sind eingeladen! Auch die nicht-universitären Nutzer*innen des Gebäudes!