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Eine Angelegenheit Aller: Hochschule und Demokratie
„Die Leute sind gut informiert, wollen Geschichte gestalten und den Planeten freundlicher hinterlassen, als er ist. Aber solche inspirierenden Wünsche passen nicht zu den restringierten Codes der GroKo. Vielen ist klar, dass die Wachstumsgesellschaft, der Terror der ewigen Optimierung der Einzelnen und der Verbrauch der Ressourcen nirgends hinführen, aber die einzig vorstellbare Veränderung im politischen Angebot ist ein Maßnahmenkatalog von gemischter Relevanz. (…) Die großen Digitalunternehmen bedrohen gleich doppelt unsere offene Gesellschaft: Einerseits, indem sie ein egoistisches Menschenbild nutzen und extremen politischen Stimmen unkontrolliert Einflussmöglichkeiten bieten und andererseits, in dem ihre immensen Gewinne von der Steuer verschont bleiben. Diese Macht zu zivilisieren braucht eben eine andere politische Anstrengung als den Fleiß schrittweiser Verbesserung kleiner Sorgen. Auch in der postmodernen und digitalen Demokratie ist der Bürger kein Kunde, kein User und kein Auftraggeber, er ist Zeitgenosse und Akteur der Geschichte. Diese Dimension wurde systematisch vernachlässigt.“
Niels Minkmar: „Im ZankerZentrum“, Spiegel-Online, Kolumne, 22.9.2018.
Das Bedürfnis, die Gesellschaft mit Solidarität und Klugheit, somit „Geschichte [zu] gestalten und den Planeten freundlicher [zu] hinterlassen“ wächst. Auch die alltäglichen Fragen – von der Bewohnbarkeit der Städte bis zum würdigen Leben für alle Altersstufen – haben längst politische, oft globale Implikationen. Die Menschheit kann sich nur gemeinsam vernünftig entwickeln.
In diesem Bewusstsein wurde schon rund um 1968 von Studierenden und Assistenten kämpferisch durchgesetzt, dass die Universitäten zugleich Demokratiewerkstätten sind. (Damals war auch GroKo; die war dann ziemlich schnell vorbei.) Die Uni hat daher eine demokratische Selbstverwaltung, an der tendenziell alle Mitglieder mitwirken können: Eine Mischung aus demokratischer Repräsentanz und direkter Selbstorganisation. Das ist ein ziemlich progressives Modell, das sich auf andere Bereiche der Gesellschaft – nicht zuletzt die Ökonomie! – zu übertragen lohnen würde.
Der Trend seit 1993 war hingegen andersherum: Die Hochschulen sollten „unternehmerisch“ werden, mit hierarchischem Management, viel kostspieliger und ideologischer „externer Expertise“ und in ihrer Entscheidungsfreiheit eingezwängt durch Standorterwartungen und Kürzungsvorgaben. Aus dieser destruktiven Phase wachsen Uni und Gesellschaft durch zahlreiche wirksame Kämpfe (zum Beispiel für Studiengebührenfreiheit!), noch zu langsam, wieder heraus.
Die Uni Hamburg hat etwas über 50.000 Mitglieder. Sie ist international wie diese Stadt und trotz starker Auslese beim Studienzugang sozial ziemlich durchmischt. Wir, die Mitglieder der Uni, sind selbst die Repräsentanten der Gesellschaft, zu deren menschenwürdigen Voranschreiten die Wissenschaft beitragen soll. Je demokratischer die Uni verfasst ist, je mehr auch die Leitungsorgane wissenschaftliche Initiativen, „den Planeten freundlicher zu hinterlassen“, praktisch wahrnehmen, je mehr die Möglichkeit zum Austausch, zu Kooperation und Initiative besteht, desto mehr gelingt der Wissenschaft ein verantwortlicher Gesellschaftsbezug. Das steigert Sinn und Freude bei der Arbeit bzw. im Studium erheblich.
Vor diesem Hintergrund ist die „Mode“, Umstrukturierungen in Forschung oder Studium einer Evaluation durch „externen Sachverstand“ auszuliefern, sich sklavisch an „Peer-Reviews“ zu orientieren und für den Wissenschaftsrat oder andere Gutachterkommissionen Potjomkinsche Dörfer (Attrappen) entstehen zu lassen, zurecht unbeliebt. Das kommt in vielen Äußerungen aus Fakultätsräten, Personalvertretungen und der Studierendenschaft zum Entwurf eines Struktur- und Entwicklungsplans (STEP) zum Ausdruck.
Es geht bei dieser Kritik nicht um „Besitzstandwahrung“, die nach 25 Jahren Kürzungsorgien auch nicht völlig unverständlich wäre. Es geht darum, dass die Wissenschaftsfreiheit, die seit 1949 im Grundgesetz garantiert ist (ohne je voll verwirklicht zu sein), dadurch gelingt, daß über die Entwicklung der Wissenschaften die Hochschulmitglieder souverän demokratisch entscheiden. Der Zweck der Wissenschaftsfreiheit ist, durch Bildung, Forschung und Lehre zum Gelingen von Menschenwürde und Frieden, Rechtsstaatlichkeit und sozialer Demokratie beizutragen. Sie ist nämlich eingebettet in ein System aus Grundrechten – nicht beliebig, sondern antifaschistisch begründet. Was könnte aktueller sein?
Dazu sollten also Alle in lebendiger demokratischer Auseinandersetzung beitragen: die Welt friedlicher, gerechter, hoffnungsvoller zu machen. In der Tat.