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So jubilieren wir?

Unzulängliches beim Festakt des Senats zu 100 Jahre Universität

„Daß wir da, anders als bisher, einen freieren Zutritt haben müssen als natürliche Folge des neuen demokratischen Schulsystems und daß es der ganzen Bevölkerung, soweit sie dafür die nötige Begabung hat, möglich sein muß, von der Universität zu profitieren, versteht sich von selbst. Und wenn jemand sagt, daß wir mit solchen Zugeständnissen eine Reverenz vor der Revolution machen, so sage ich: Jawohl, in diesem Punkt machen wir eine Reverenz vor der Revolution und erachten es als einen großen Fortschritt der neuen Verhältnisse, daß auf dem Gebiete der Zulassung zur Universität bessere Zustände eintreten, als sie bisher dagewesen sind.“

C.A. Mönckeberg (1873-1939), Mitglied der liberalen DDP, zur Universitätsgründung, 3. Sitzung der ersten demokratisch gewählten Bürgerschaft am 28. März 1919.

Der Senat lud jüngst zum 100. Jahrestag des Gründungsbeschlusses der Universität zum Empfang; Festsaal, Blechbläser, Aufgebot, Marketingfilmchen sowie Reden:

Die Wissenschaftssenatorin und zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank stellte die Verbindung zwischen der historischen Gründung und heutiger Verantwortung von Bildung und Wissenschaft für die Demokratie und die Lösung der – nicht näher benannten – „Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“ her. Nie wieder dürften wie 1933 die „Eliten“ versagen. Erst die studentischen Proteste ab 1967 hätten den Gründungsgeist wieder aufgegriffen. Die Senatorin unterließ aber eine notwendige Kritik an Entdemokratisierung und Ökonomisierung der Hochschulen seit den späten 1990er Jahren. Sie wünscht der Universität viel Erfolg bei der Problemlösung für eine demokratische, gerechte und moderne Gesellschaft.

Die Bürgerschaftsvizepräsidentin Barbara Duden machte deutlich, daß der Uni-Gründung ein „gewaltiger Umbruch“ „gegen Krieg und Monarchie“ vorausgegangen war, der die politische Gleichstellung der Frauen einleitete und das Fundament der heutigen Demokratie bildete. Erst in diesem Kontext sei die Bedeutung der Uni-Gründung als Bildung für die Demokratie richtig zu verstehen, was sie mit der 1968er-Bewegung verdeutlichte. Diese habe mit ihrem Elan nicht nur die Hochschulen, sondern die Republik positiv verändert. Unvermittelt endete sie mit der von fast allen Redner*innen eingebauten Lobhudelei auf das geplante Wissenschaftszentrum „Science-City Bahrenfeld“.

Der Uni-Präsident Dieter Lenzen war der erste der – nicht ohne Respekt – das Wort „Revolution“ aussprach. Er hob die damaligen Zielsetzungen der Offenheit, Debattenfreudigkeit und Klassenlosigkeit hervor und dankte „der Stadt“, die Universität nun 100 Jahre „ausgehalten“ zu haben.

Der Vorsitzende des Hochschulrats, Herr Wagner, nicht ein Mann des Volkes, begrüßte das „gelehrte Proletariat“, das durch die revolutionäre Gründung ermöglicht worden sei. Er meint, daß die 1920er Jahre die kreativste und wissenschaftlich bahnbrechende Phase der Uni-Geschichte gewesen seien – auch durch viele, später vertriebene Wissenschaftler*innen. Es sei zu beantworten, was den spezifischen Geist dieser Aufbruchphase ausgemacht habe und gleichfalls, wie die Geschichte sich wohl entwickelt hätte, hätten alle Hochschulen gegen das NS-Gesetz zur rassistischen und politischen Säuberung der Unis 1933 widerstanden. Er wollte auch beachtet wissen, daß alle „diffusen Ängste“ vor dem 2003 politisch aufgepfropften Hochschulrat sich als unbegründet erwiesen hätten – und vergaß dabei, daß dies Ergebnis erheblicher Proteste gegen das neoliberale Aufsichtsratsmodell in Hamburg ist, das in anderen Unis bis heute dazu führt, daß Konzerne wie BMW, Daimler, Siemens direkt über Hochschulangelegenheiten entscheiden.

Damit der intellektuelle Austausch im Anschluss sich noch erworben werde, war dem „Philosophen“ Peter Sloterdijk zu lauschen. Mit einem hohen Anteil fremdsprachlicher Ausdrücke machte er weitschweifend erzählerisch einen „akademischen Unterschied“ stark. Dieser bestehe darin, daß sich seit Platon im akademischen Leben zwar viel geändert habe, jedoch eins bliebe unbedingt erhaltenswert: „eine Geistesabwesenheit, die der Beweis der Geistesanwesenheit anderer Art“ sei. Also: Totale Freiheit von Verantwortung und Engagement! Der Vortrag war intellektuell und akustisch undeutlich, wohl weil das Statement beim Jubiläum einer Uni, welche die Sustainable Development Goals der UN als Leitbild ihres wissenschaftlichen Engagements anerkennt, absehbar nicht überzeugt.

Dann wurde noch die Uni-Briefmarke freundlich „eröffnet“; Loriot hätte seine Freude gehabt.

Eine Reverenz an die Revolution war das Ganze nicht, und damit auch nicht an die Möglichkeit der Uni und ihrer Mitglieder, zu einer friedlichen, sozial gerechten, demokratisch inkludierenden und nachhaltig produzierenden Gesellschaft beizutragen.

Die Praxis mag anders sein.