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Gute Finanzierung für Bildung, Wissenschaft, Arbeit und Studium. Ist das „Sozialneid?“

Hamburger Abendblatt: Stimmt diese Formel: Je zufriedener der Mensch, desto weniger neidisch ist er?
Christine Büchner: (…) Im Kern geht es darum, eine Selbstzufriedenheit zu erlangen. Je weniger Wünsche ich habe, je weniger ich mein Ich in den Mittelpunkt stelle, desto zufriedener kann ich sein.
Sighard Neckel: In einer Gesellschaft, in der die sozialen Unterschiede zwar vorhanden, aber auch begrenzt sind, empfinden Menschen weniger emotionalen Stress und sind deutlich glücklicher. In Gesellschaften mit einem großen Ausmaß sozialer Ungleichheit sind die Menschen unglücklicher. Einer der Gründe ist natürlich das Empfinden, zu kurz gekommen zu sein. Wenn mein eigenes Wohlergehen aber nicht nur vom Gelingen meines individuellen Strebens abhängig ist, sondern auch vom Wohl anderer, geht es mir besser. Diese Einsicht zu vermitteln, ist schwer in einer Gesellschaft, die ganz stark und sehr einseitig auf den vermeintlichen Nutzen des individuellen Wettbewerbs setzt. (…)
Die häufig gehörte Klage, die Reichen, Mächtigen und Schönen würden vom Durchschnittsbürger unablässig beneidet, ist eher eine Wunschvorstellung der Reichen, Mächtigen und Schönen.
Büchner: Aber gerade auf der Ebene dieser Superreichen ist die Zufriedenheit nicht verknüpft mit dem Reichtum. Hier finden wir Neidmechanismen, weil man sich immer noch übertrumpfen will.“

„Warum empfinden wir Neid?“, Prof. Christine Büchner (Theol.) und Prof. Sighard Neckel (Soziol.) im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt, 31. August 2019.

Auf jeden Fall spricht die Aussage der beiden Hamburger Profs für eines: Die Exzellenzstrategie fördert inneruniversitär und zwischen den Hochschulen Ungleichheit und Konkurrenz; sie kann keine Wohltat sein.

Die Theologin hält für möglich, dass „Selbstzufriedenheit“, notfalls auch durch die Minderung von sozialen Ansprüchen, dem Neid entgegenwirke. Der Soziologe befürwortet eine Regulierung durch mehr soziale Gerechtigkeit, aber hält Neid dennoch für einen ewigen (An-)Trieb. Beide wenden sich gegen Ungerechtigkeit. Wir gehen davon aus, dass Neid von gesellschaftlicher Konkurrenz nicht zu trennen ist. Aber diese Konkurrenz ist überwindbar. Empathie mit Seinesgleichen und entsprechende Kooperation, die Mitteilung, planvolle Anwendung und gemeinsame Erweiterung von Wissen und Kreativität, sind die schöpferischen Kräfte der Menschheit, ohne die sie sich nie aus der Natur herausgelöst hätte. Heute ist die Möglichkeit, die Menschheit gesund und nachhaltig zu ernähren sowie soziale Sicherung und kulturelle Entfaltung allen zu garantieren, durch ungeheure Produktivität objektiv vorhanden. Schreiender Mangel, Ungleichheit und daraus resultierende Ängste, Zynismen und Gewalttaten – all dies ist von Menschen gemacht. Aber sie sind nicht von allen gemacht, sondern im Interesse von Gewinn- und Hegemoniestreben weniger in einer globalen ökonomischen Konkurrenz gesellschaftliche Praxis. Dadurch werden „Fortschritt“ und „Erfolg“ faktisch an die Unterdrückung der Lebensinteressen anderer geknüpft.

Dieses imperiale System braucht eine Neidpropaganda. Das Interesse und das Bedürfnis der meisten Menschen widersprechen und widerstreben ihr elementar. Man kann sich entscheiden. Deshalb wird das Verlangen nach alltäglicher Sorgfalt, Solidarität, vernünftig nutzbarer Zeit, nachhaltig produktiver Arbeit, aufgeklärter Kultur sowie entsprechender Teilhabe zunehmend organisierte Praxis der Vielen.

Diese Tendenz substanziell wissenschaftlich zu forcieren, ist die beste Aufgabe für Universität und Studierende heute. Für Alle. Das bedarf auch einer daran angemessenen öffentlichen Finanzierung – der Einrichtungen sowie des sozialen Lebens ihrer Mitglieder. Die Fülle der zu lösenden globalen Probleme und die Möglichkeiten der Erkenntnisentwicklung bzw. der Verbesserungen durch Zusammenarbeit ist enorm. Das ist das einzige riesige Vermögen, das nicht besteuert gehört.