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Tätiges Erinnern
Hier findet ihr das Flugblatt.
Kundgebung von Chile Despertó Hamburgo am 11.09.20, um 16 Uhr am Allende
Diesen Refrain des gleichnamigen Liedes sangen am 13. Dezember 2019 auf dem Plaza De La Dignidad (Platz der Würde) in der Hauptstadt Santiago de Chile über eine Million Menschen gemeinsam. Diese Manifestation bildete einen Kulminationspunkt einer Bewegung in Chile, die ausgehend von Schüler*innenprotesten gegen Fahrpreiserhöhungen der Metro de Santiago sich
schnell gegen das komplette System der Marktdiktatur in allen Lebensbereichen richtete. Unter Slogans wie »Der Neoliberalismus
wurde in Chile geboren und er wird in Chile
sterben!« entlädt sich die Wut über das kommerzialisierte Gesundheitswesen und Bildungssystem sowie niedrige Löhne bei überhöhten Lebensmittel-, Medizin- und Wohnungspreisen. Mit Lärm-Demonstrationen, Streiks und dem Bilden von nachbarschaftlichen Räten (Cabildos) nahm die Bevölkerung ihre Geschicke selbst in die Hand und musste sich dabei auch gegen massive Repression der Regierung Piñera wehren – von brutaler Polizeigewalt bis Ausnahmezustand, wodurch über 3600 Protestierende ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten und sieben Menschen starben. Errungen werden konnten so bisher u.a. die Rücknahme der Fahrpreiserhöhungen, die Erhöhung von Mindestlohn und -rente sowie eine Senkung von Politiker*innengehältern. Ebenso ist es durch den Druck der Straße gelungen, dem Establishment einen verfassungsgebenden Prozess abzuringen, der die aktuelle neoliberal-antidemokratische Verfassung noch aus der Zeit der Militärdiktatur unter dem General Augusto Pinochet ersetzen soll.
Dieser Pinochet putschte am 11. September 1973 gegen die sozialistische Regierung Salvador Allendes. Wir wollen aus diesem Anlass erinnern an die Leistung der Unidad Popular und die Opfer der Militärdiktatur. Und für heute Konsequenzen ziehen: „International Solidarisch – Schluss mit Austerität“!
Vor Beginn des sozialistischen Umbaus galt in Chile ein Großteil der Kinder als unterernährt, Millionen konnten weder lesen noch schreiben und 500.000
Familien waren obdachlos. 80 Prozent des Nutzlandes befanden
sich in der Hand von 4,2 Prozent der Grundeigentümer. In dieser Situation errang die Unidad Popular mit Salvador Allende 1970 die Präsidentschaft in
freien Wahlen. In der folgenden Regierungszeit wurden u.a. die Bodenschätze verstaatlicht, ausländische Großunternehmen und Banken enteignet, 20.000
km² Land von Großgrundbesitzer*innen an Bäuer*innen und Kollektive übergeben, die Preise für Miete und wichtige Grundbedarfsmittel staatlich festgelegt und Bildung sowie Gesundheitsversorgung kostenfrei. Die Folgen waren im ersten Jahr steigende Löhne, Gehälter, Renten und Konsumausgaben, sinkende Inflation und Erwerbslosigkeit und eine Einkommensumverteilung
von Oben nach Unten. Die Unterernährung wurde deutlich zurückgedrängt und dem Analphabetismus der Kampf angesagt.
Ab dem ersten Tag der Präsidentschaft Allendes unterließ das ökonomische und politische Establishment des Foto: Am 13. Dezember 2019 auf dem Plaza De La Dignidad Kundgebung von Chile Despertó Hamburgo am 11.09.20, um 16 Uhr am Allende Platz Westens kein Bemühen, die Souveränität Chiles anzugreifen. Ausgehend von der Regierung der USA wurde versucht, die (post)koloniale, imperiale Weltordnung durch ein gnadenloses Kredit- und Handelsembargo,
Geheimdienstoperationen inklusive Mord-anschläge und die Unterstützung rechter Gruppen und Militärs im Inland aufrechtzuerhalten. Dies drängte Chile an den ökonomischen und politischen Existenzrand.
Am 11. September 1973 putschte der General Augusto Pinochet mit
Unterstützung der CIA und errichtete eine faschistoide Militärdiktatur. In den ersten Wochen wurden über 3000 Linke ermordet, oppositionelle Presse unterdrückt, Zehntausende gefoltert, verschleppt und ins Exil getrieben. Wirtschafts- und sozialpolitisch wurde fortan von den „Chicago Boys“ – einer Gruppe von chilenischen Schülern des monetaristischen Ökonomen Milton Friedman – ein neoliberales Experiment blutig durch- gesetzt. Finanz- und Arbeitsmarkt wurden dereguliert, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche
Organisationen verboten, nahezu alles privatisiert (inklusive Bildung, Rente und Gesundheit), ein ruinöser Freihandel etabliert und der Sozialstaat amputiert.
Damit ist der Putsch gegen die sozialistische Regierung in Chile und die Errichtung der neoliberalen Militärdiktatur ein experimenteller Vorläufer für die neoliberale Aggression in den USA (Reagan) und Großbritannien (Thatcher) in den 80er Jahren, welche nach den Konsequenzen aus der Befreiung vom deutschen Faschismus und dem 68er-Aufbruch die gesellschaftliche Linke und
den Sozialstaat zerstören wollte.
Warum war das chilenische Beispiel für die Herrschenden so gefährlich? Der kraftvolle Versuch der chilenischen Bevölkerung, ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen, aus kolonialer und imperialistischer Abhängigkeit und Ausplünderung auszubrechen, brachte einkapitalistisches Weltsystem ins Wanken, das auf der Ausbeutung von Milliarden Menschen und deren natürlichen Ressourcen durch eine kleine Gruppe von Kapitalbesitzern beruhte. Dass diese Milliarden sich ihrer Handlungsmacht bewusstwerden und dieser Erkenntnis Taten folgen lassen, ist der Wendepunkt der Geschichte. Damals wie heute. Eine zentrale Säule dieses Aufbruchs war in Chile die Bewegung „Nueva Canción Chilena“ (Neues chilenisches Lied). Das eingangs erwähnte Lied
„El Pueblo unido“ bspw. entstand im letzten Jahre der Präsidentschaft Allendes. Dass es
im Jahr 2019 von einer der wichtigsten Bands der „Nueva Canción Chilena“ ,Inti Illimani‘ als Teil der endgültigen Überwindung der neoliberalen Überreste der Militärdiktatur gesungen wird, ist ein besonders eindrückliches und kraftvolles Einlösen des Satzes aus der letzten Rede von Salvador Allende. Unter Bombenangriffen sagte er aus dem Präsidentenpalast via Radio: „Werktätige meines Vaterlandes! Ich glaube an Chile und sein Schicksal. Es werden andere
Chilenen kommen. In diesen düsteren und bitteren Augenblicken, in denen sich der Verrat durchsetzt, sollt ihr wissen, dass sich früher oder später, sehr bald, erneut die großen Straßen auftun werden, auf denen der würdige
Mensch dem Aufbau einer besseren Gesellschaft entgegengeht.“
Eine solche solidarische Perspektive realisieren wir in der alltäglichen Organisierung für Verbesserungen in Schule, Hochschule oder Betrieb. In diesem Sinne haben sich Teile der Verfassten Studierendenschaft Zusammengeschlossen in der Kampagne „International Solidarisch – Schluss mit Austerität“, um der kulturellen Bescheidenheitsverordnung und ökonomischen Erdrosselung ganzer Ökonomien durch Schuldenbremse und
Fiskalpakt ein Ende zu setzen! Und zwar explizit hier im Herzen der imperialistischen Bestie. Wir sind die Alternative zur Alternativlosigkeit.
Wir rufen alle auf zur Teilnahme an der Gedenkveranstaltung von Chile Despertó Hamburgo am 11.09.20 um 16 Uhr am Allende Platz.
In Film-, Musik- und Redebeiträgen soll sich den historischen Ereignissen genähert, den Kämpfen der Unidad Popular und den Opfern der Militärdiktatur gedacht werden. Wir wollen uns fragen, was wir daraus für die heutigen Auseinandersetzungen lernen können. In Chile, in Deutschland und überall, es
ist noch viel zu tun!