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"Stubenarrest"?
„So ein Gesetz gab es noch nicht. So ein Gesetz ist ohne Vorbild in der Geschichte der Bundesrepublik. Es ist ein Gesetz, das sich selbst zum Vollzug bringt. Einer ausdrücklichen Verfügung, es umzusetzen, bedarf es nicht mehr. All die grundrechtsbeschränkenden Maßnahmen, die dort aufgeführt sind, all die Kontaktverbote, die Ausgangssperren, die Betriebs-, Geschäfts- und Schulschließungen, all diese Eingriffe in den grundrechtlich geschützten Handlungshorizont der Bürgerinnen und Bürger - sie treten automatisch in Kraft, sobald ein bestimmter Inzidenzwert gegeben ist. Sie treten in Kraft ohne jeden weiteren Vollzugsschritt, ohne jede weitere Anordnung, ohne einen Verwaltungsakt. Es ist das Gesetz selbst, das sie in Kraft setzt. Es bedarf dazu nur der Feststellung des Inzidenzwertes durch das Robert-Koch-Institut.(...)
Wie weit geht eigentlich die Generaldisziplinierungsgewalt des Staates? Die Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen setzt Differenzierung, also die Prüfung von Geeignetheit, Erforderlichkeit, und Zumutbarkeit voraus. Fragwürdig und problematisch ist es deshalb, nur einen einzigen Maßstab an alles, auch Unterschiedliches zu legen und allein den Inzidenzwert zu nehmen, der die bundesunmittelbaren gesetzlich festgeschriebenen Gefahrenabwehrmaßnahmen dann auslösen soll.“
Heribert Prantl, „Ein infiziertes Gesetz“, „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“), 25.4.´21.
„Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) hat gerade einen Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland 2012 veröffentlicht. Darin heißt es: „Die vielfältigen Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens gefährdet nicht nur die Bildungserfolge junger Menschen, sondern haben weitreichende Folgen für ihr gesamtes Wohlbefinden und ihre Entwicklung.“ Kinder brauchen öffentliche Räume wie Schulen, um sich gut entwickeln zu können. Auch sei der direkte Austausch mit Gleichaltrigen entscheidend, „um die Kompetenzen zu erwerben, die sie in unserer Gesellschaft brauchen“, so der Familiensoziologe Hans Bertram.“
Philip Eppelsheim, „Schule muss sein“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 25.4.´21, S. 8.
„Nun könnte man jeden Satz, den der Narr sagt, auch über die Kunst sagen: Auch sie durchschaut die Politik, und erst recht eine falsche; auch sie riskiert für unliebsame Äußerungen die Peitsche; auch sie lässt sich trotz dieser Aussichten nicht abhalten; auch sie hat ihren Berufsstolz, auch sie weiß, ab wann und vom wem Weisheiten nicht mehr gefragt sind, auch sie begreift und stellt dar, wann ein großes Rad den Hügel herab rollt, und was immer ihr Schicksal ist, so verlässt sie ein sinkendes Schiff nicht als erste. Und erinnern wir daran, dass ein Narr im Theater auch etwas anderes meint, als nur sich selber, so haben wir kein schlechtes Bild über die Stellung der Kunst in solchen Zeiten vor uns.“
André Müller sen. „Shakespeare verstehen/Das Geheimnis seiner späten Tragödien“, Kapitel „König Lear“ (S. 127-177), hier S. 175f., Berlin 2004.
Es ist schier bedenkenswert: Die härtesten, umfassendsten und am längsten anhaltenden Grundrechtseinschränkungen seit Beginn der Bundesrepublik Deutschland. Trotz Grundgesetz und alledem. Erhöhte Aufmerksamkeit ist geboten.
Gegen die neue Rechtslage läßt sich lediglich klagen, wenn Mensch dagegen verstoßen hat und eine Sanktion bzw. ein Bußgeld dagegen erhalten hat. Der Gang vor die Verwaltungsgerichte – auch ohne Strafe – bleibt verschlossen. Nur wer Recht bricht und deshalb bestraft wird, kann dann vor das Verfassungsgericht gehen. Das ist mehr als nur ein Schildbürgerstreich. Hier regiert ein Gestern gegen das Morgen. Stattdessen ist aus Fehlern zu lernen. Die Bevölkerung ist kein Objekt der strengen Ordnung.
Gewiß, die Corona-Pandemie – nicht nur sie! - ist zu bekämpfen. Aufklärung, Perspektivbildung, einstweilige AHA-+L-Regeln, forcierte Impfungen, Verbesserung der Behandlung, der qualitative Aufbau des Gesundheitssystems (inklusive der Resozialisierung der öffentlichen Einrichtungen), die soziale Verbesserung von Wohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen sowie die internationale Solidarität in der Schaffung von Gesundheitsbedingungen (Bildung, Hygiene, Medizin) sind erforderlich, um (gefährliche) Krankheiten zu überwinden.
Darunter muß niemand leiden – nicht Kita, Schule und Hochschule, nicht Theater, Museen, Bibliotheken, Gaststätten, Parks, Seen, und Meeresblick; nicht die prekär Beschäftigten, die Obdachlosen, die Flüchtlinge oder die südlichen armen Länder. Die Grundrechte müssen nicht deformiert werden.
Hier ist eine Öffnung – der Perspektive, der Entwicklung, der Solidarität – dringend geboten.
Berechtigte Ansprüche sollten vermehrt zum Ausdruck kommen. Der 1. Mai (Tag der Arbeiterbewegung) und der 8. Mai (Tag der Befreiung vom Faschismus) bieten gute Gelegenheiten dafür. Kritische Meinungsbildung bringt voran. Die positiven Gemeinsamkeiten sind größer als bisher gedacht. Stubenarrest hat schon immer geschadet. Das tut man niemandem an.