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Die Kunst der Krisenbewältigung
„Der verstaubte ordoliberale Sprechzettel wird nicht helfen
Zur Kunst eines deutschen Finanzministers anno 2022ff wird gehören, all das besser zu machen und mit viel ökonomischer Kompetenz auszuloten. Etwa dafür zu sorgen, dass Ausgaben zur richtigen Zeit gekürzt werden, ohne dass es die Konjunktur gefährlich belastet – und nur solche, die für heute und für die Zukunft wirklich nicht gebraucht werden (gar nicht so einfach, wie es am Stammtisch klingt). Umgekehrt genau abzuschätzen, welche Investitionen der Staat übernehmen muss, weil sie privat keiner vernünftig hinbekommt – und dann über Modelle schätzen zu lassen, welche dieser Investitionen wie viel wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ertrag bringen – um einschätzen zu können, bei welchen es sich lohnt, sie in guter unternehmerischer Manier auf Kredit vorzufinanzieren, also Schulden aufzunehmen, weil sie am Ende auch fiskalisch genug einbringen und sich zumindest teils selbst finanzieren. All das lässt sich nicht mit altliberalem Sprücheklopfen darüber lösen, dass wir angeblich nicht staatliche, sondern private Investitionen brauchen. Aua.
Zur Kunst wird gehören, beim nächsten Crash an den Finanzmärkten mit hochkarätigen Expertenkollegen wie US-Finanzministerin Janet Yellen oder Italiens Ministerpräsident Mario Draghi binnen Stunden abzustimmen, wer wie stark an den Märkten eingreift, weil die Krise sonst eskaliert. Auch da wird der verstaubte ordoliberale Sprechzettel dann nichts helfen. Fragen Sie mal Herrn Weidmann.
Zur Kunst eines Finanzministers in der Nach-Lehman-Ära sollte gerade deshalb auch gehören, zeitgemäße Ideen dafür einzubringen, wie die Finanzwelt strukturell besser wieder unter Kontrolle zu bringen ist. Und überhaupt am Abbau diverser Absurditäten aus Zeiten der entgleisten Hyperglobalisierung mitzuwirken – ob im Kampf gegen Steuervermeidung oder den ruinösen Steuersenkungswettlauf. Oder für eine wirkliche Finanztransaktionsteuer.“
Thomas Fricke, „Wäre Christian Lindner ein guter Finanzminister?“, „SPIEGELONLINE“, 29.10.2021.
„Politik muss Anreize dafür setzen, dass die, die mehr leisten können, und die gute Ideen haben, die innovativ sind, auch Lust dazu haben, sich in ihrem Land zu engagieren. Und sie muss die unterstützen, die das nicht so können. Politik machen, heißt für mich zu gestalten, zu verändern, zu korrigieren, dafür Mehrheiten zu suchen. Und in diesem Sinne bin ich immer gerne Politikerin gewesen. In krisenhaften Situationen ist man dann mit negativen Entwicklungen befasst, auf die man zum Teil gar keinen Einfluss hat. Ideale Lösungen gibt es dann nicht, oft muss man unter verschiedenen Optionen die am wenigsten unzureichende auswählen. Der Glücksmoment, eine ideale Lösung geschafft zu haben, entsteht nicht.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Interview mit „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 31.10.2021, S.2.
„NEUE SITTEN
Durch Heide führt der Weg und Moor,
Ich schlurfe behaglich im Sande,
Da hinter einem Holunder hervor
Tritt eine Räuberbande.
Sie führen mich zum Hauptmann.
Der sitzt in einem Weiler.
– Ich nehme natürlich auch Schecks, mein Herr,
Die Welt war schon mal heiler.“
Peter Hacks, Gedichte („Diesem Vaterland nicht meine Knochen“), Berlin 2008, S. 7.
Herr Linder ist der Dreisteste in den Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer Bundesregierung.
Zwar ist „seine“ Partei, die FDP, am schwächsten von den Koalitionsparteien in spe aus den Wahlen hervorgegangen, aber er vertritt – auf dem Laufsteg der politischen Bühne – die zur Zeit stärksten Interessen in der Gesellschaft. Die neoliberale Doktrin zur wenig eingeschränkten Kapitalbegünstigung zum vermeintlichen Wohle Aller ist noch nicht ausgeräumt. Gelb ist das Zeichen für „nicht mehr“ und „noch nicht“. SPD und Grüne sind nach wie vor davon angekränkelt. Frau Merkel, die scheidende Bundeskanzlerin (s.o.), bringt es in einfachen Worten auf den Punkt:
Kannste was, biste was, biste was, haste was. Haste nichts, kannste nichts, biste nichts – kriegste Almosen und ein schlechtes Gewissen.
Dabei sind die notwendigen Aufgaben groß und offenkundig: Straßen, Brücken, Geh- und Fahrradwege sind marode; öffentliche Gebäude (Schulen, Hochschulen, Theater, Museen etc.) sind in einem dürftigen Zustand; qualifiziertes Personal mit hinreichender Bezahlung fehlt allerorten; es mangelt an sozialem Wohnungsbau und ausreichendem öffentlichen Nah- und Fern- verkehr – die öffentliche Hand ist mager.
Das Sozialsystem (beispielsweise Hartz IV) ist schuldbeladen, knapp bemessen und restriktiv. Das Gesundheitssystem wurde privatisiert und kommerzialisiert. Die soziale Ungleichheit ist gewachsen. Die „Schuldenbremse“ kneift, Steuern bei höchsten Vermögen werden nicht angemessen erhoben, Steuerflucht und -vermeidung gelten als legitim und sind eine (nunmehr zunehmend aufgedeckte) Selbstverständlichkeit.
Zudem wird von der Kriegsführung, Rüstungsexporten und Aufrüstung nicht Abstand genommen.
Dem bedrohlichen Klimawandel wird lediglich halbherzig begegnet.
Die Kunst der Krisenbewältigung besteht hin- gegen in einem grundlegenden gesellschaftspolitischen Richtungswechsel.
Frieden ist nur zu schaffen durch die Beendigung von Kriegen, politischer und diplomatischer Konfliktregulierung für eine zivile Entwicklung, dem Stopp von Rüstungsexperten (meist in Krisengebiete!) sowie die Abrüstung bzw. die Verwendung der frei werdenden Mittel in allgemeine soziale und kulturelle Zwecke.
Sozial ist, was menschenwürdige Arbeits- und kulturelle Lebensbedingungen schafft. Aufgeklärt ist, was den Ewiggestrigen rational entgegentritt.
Die Wissenschaften sollten und können mit begründet verantwortlichem Engagement sorgfältig zur Humanisierung der gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit beitragen.
Das ist eine Aufgabe Aller. Auf bloße Verlautbarungen ist kein Verlaß.
So mag die Entdämmung gelingen.
Der Mensch findet Seinesgleichen.