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Dokumentation von Grundsatzpapieren zur Arbeit im Akademischen Senat (AS) aus dem Jahre 2021

"Zum Geleit"

Dem Wohle Aller: Demokratie!

Hier als PDF:

„Denn, Daja, glaube mir; dem Menschen ist
Ein Mensch noch immer lieber als ein Engel–“

(Nathan zu Daja in: G.E. Lessing, Nathan der Weise, 1779.)



Inhalt

Editorial
1. Zum Geleit CL – Gesundheit
2. Zum Geleit CLI – Mit Dimension
3. Zum Geleit CLII – Fällige Entscheidung
4. Zum Geleit CLIII – In Erwägung eines Besseren
5. Zum Geleit CLIV – Real übersteigt digital
6. Zum Geleit CLV – Heute heißt morgen, über gestern hinaus
7. Zum Geleit CLVI – Zur Entscheidung
8. Außer der Reihe - Um die Not zu wenden: Wozu brauchen wir einen Präsidenten?
9. Zum Geleit CLVII – Der Vorteil der Verantwortung
10. Zum Geleit CLVIII – Realismus!

Die Kandidat_innen


Editorial

Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Fast vier Semester unter Pandemiebedingungen haben die Universität unter äußerste Anspannung gesetzt. „Eingedämmt“ sind Bildung selbstbewusster, kritischer und optimistischer Menschen, Forschung zur Lösung globaler Probleme und öffentliche Aufklärung nur schwer wahrzunehmen. Die soziale und psychische Belastung und arbeitsmäßige Überforderung wurden übergreifend spürbar und in den Uni-Gremien thematisiert.

Kunst, Kultur und Wissenschaften als kritische Auseinandersetzung mit einer Welt, die nicht so bleiben kann wie sie (geworden) ist, sind unverzichtbar für die Entwicklung einer gerechten globalen Zivilisation, die diesen Namen verdient. Dazu beitragen wollen die meisten Unimitglieder. Aber das politische Hin-und-Her einer eher auf Popularität und Profit abgestimmten politischen Pandemiebewältigung wirkt dagegen; auch die Uni-Leitung folgt eher einem autoritären als einem aufgeklärt-partizipativen Kurs. Es rettet uns kein höh’res Wesen…

In Zeiten so wachsender sozialer Polarität und teilweise aggressiver politischer Debatten, geschürter Ängste und begründeter Furcht sind die menschenfreundliche, lebensbejahende Rationalität und der Streit mit (guten) Argumenten von kultivierender Bedeutung für Alle. Analyse, Kritik und Aufklärung können Hoffnung praktisch fundieren, indem sie gemeinsame Handlungsfähigkeit bilden.

Eine humane Philosophie, Geschichtsbewusstsein, dialektisches Denken und die Lust, Klugheit mit Schönheit zu vereinen, helfen Allen weiter. Deshalb veröffentlichen wir vor jeder Sitzung des Akademischen Senats (AS) eine literarische Reflexion zur Lage: „Zum Geleit“. Das ist eine Rubrik unserer Publizistik seit dem Jahr 2006, mit der wir unsere Gedanken über die größeren historischen und gegenwärtigen Zusammenhänge des wissenschaftlichen Wirkens und der Bildung an der Universität teilen – und andere damit anregen wollen.

In dieser Broschüre sind die „Geleite“ aus dem Jahr 2021 zusammengefasst und jeweils kurz auf die Themen der jeweiligen AS-Sitzung bezogen.

Wir wünschen eine nachdenkliche und heitere Lektüre!

harte zeiten – junge sozialisten,
Liste LINKS,
SDS*
sowie zahlreiche Freunde

Zusammen das
Bündnis für Aufklärung und Emanzipation! (BAE!)


Zum Geleit CL

Zur AS-Sitzung am 14. Januar 2021

Immer wiederkehrend: Die Unzufriedenheit in und mit der Verwaltung der Universität, die unsicheren Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter:innen und die Unzulänglichkeit der öffentlichen Hochschulfinanzierung sind gleich zu Beginn des Jahres Thema – in digitaler Sitzung von vielen Mitgliedern des Akademischen Senats mit etwas hilflosem Unmut thematisiert. Die studentische Ambition, durch politische Kooperation in Präsenz die gemeinsame Handlungsfähigkeit für Verbesserungen zu stärken, wird noch ängstlich zurückgewiesen. Aber schwer lässt sich von der Hand weisen, dass Gesundheit mehr ist als die Abwesenheit von Infektionen:

Gesundheit

1) Der Rahmen

„Die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Der Besitz des bestmögllichen Gesundheitszustandes bildet eines der Grundrechte jedes menschlichen Wesens, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der politischen Anschauung und der wirtschaftlichen oder sozialen Stellung. Die Gesundheit aller Völker ist eine Grundbedingung für den Weltfrieden und die Sicherheit; sie hängt von der engsten Zusammenarbeit der Einzelnen und der Staaten ab. Die von jedem einzelnen Staate in der Verbesserung und dem Schutz der Gesundheit erzielten Ergebnisse sind wertvoll für alle.
Ungleichheit zwischen den verschiedenen Ländern in der Verbesserung der Gesundheit und der Bekämpfung der Krankheiten, insbesondere der übertragbaren Krankheiten, bildet eine gemeinsame Gefahr für alle.“

Verfassung der Weltgesundheitsorganisation, unterzeichnet in New York am 22. Juli 1946.

Das physische und psychische, also kulturelle, Wohlergehen ist eine stets zu schaffende Tatsache.
Strukturen sind nicht abstrakt. Arbeit, Bildung, Gesundheit, Kultur – gut in lebendiger Einheit nur.

2) Quälend unzureichend

„Die Angst vor Covid-19 hat beides zuwege gebracht: eine Verfassungskrise, wie sie die Bundesrepublik noch nicht erlebt hat und wie sie erst noch in voller Schärfe zutage treten wird; und eine Vertiefung der Ungleichheit zwischen Wohlhabenden und Armen, die beschämend ist für ein Land, das sich Wohlfahrtsstaat nennt.“

Franziska Augstein, „Fortgeworfen vom Staat“, „SPIEGELONLINE“, 9.1.´21.

Eine engagierte Renaissance der tatsächlichen Grundrechte bzw. die Rekonstruktion des Sozialen wird zunehmend zur gemeinsamen Aufgabe.

3) Mehr Gleichheit wagen

„Wenn die Gleichheit der Stände, über die man jetzt so viel schreibt und spricht, etwas Wünschenswertes ist, so muß sie notwendig etwas jener Gleichheit Analoges [Entsprechendes] haben, die man nach Aufhebung des Rechts des Stärkeren durch weise Gesetze eingeführt hat.“ (296)

Georg Christoph Lichtenberg, „Sudelbücher“, Heft K, 1793-1796.

Über die Unterschiede von Ausbildungen, Berufen, Weltanschauungen und Altersstufen hinweg läßt sich die Welt verbessern – gegen alle möglichen Verunglimpfungen.

4) Die Einsicht des Humors

„II
Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rühre sie so sehre
Der Sonnenuntergang
Mein Fräulein! Sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.“

Heinrich Heine, „Hortense“, Gedichte 1832-1836.

Wer lacht oder Gelächter hervorruft, muß nicht falsch liegen oder unsachlich sein. Heiter und ernst in einem.


Zum Geleit CLI

Zur AS-Sitzung am 11. Februar 2021

Kurz nach dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, erinnernd an die Hamburger Aktivist:innen der „Weißen Rose“ in ihrem Widerstand gegen das Nazi-Regime, ist die Erwartung, sich mit dem Lockdown abzufinden und isoliert das Ende der Pandemie zu erhoffen, Tee zu trinken und auf Bildschirme zu starren, ziemlich absonderlich. Allerdings wirkt auch in der Universität die im öffentlichen Raum weitgehend populistisch geführte, aber strategiefreie („Fahren auf Sicht“) politische Auseinandersetzung mit der Pandemie für viele paralysierend. Dies führt im AS zu verschärften Kontroversen über Sinn und Notwendigkeit von Bildung in Präsenz und die aktuelle Verantwortung der Wissenschaften.
Sorgfalt mit den Mitmenschen und der Menschheit ist aktiv, herausfordernd und kooperativ.

Mit Dimension

„Viele, vielleicht die meisten Leser dieser Blätter sind sich darüber nicht klar, wie sie einen Widerstand ausüben sollen. Sie sehen keine Möglichkeiten. Wir wollen versuchen, ihnen zu zeigen, daß ein jeder in der Lage ist, etwas beizutragen zum Sturz dieses Systems. Nicht durch individualistische Gegnerschaft, in der Art verbitterter Einsiedler, wird es möglich werden, den Boden für einen Sturz dieser "Regierung" reif zu machen oder gar den Umsturz möglichst bald herbeizuführen, sondern nur durch die Zusammenarbeit vieler überzeugter, tatkräftiger Menschen, Menschen, die sich einig sind, mit welchen Mitteln sie ihr Ziel erreichen können. Wir haben keine reiche Auswahl an solchen Mitteln, nur ein einziges steht uns zur Verfügung - der passive Widerstand.“

Aus dem Dritten Flugblatt der Weißen Rose, Sommer 1942.

1) Rückschau

Die Geschichte lehrt,
streitend Bonus und Malus,
wahre Konsequenz.

2) Gegenwart

Wer unzufrieden,
schaue aufmerksam um sich,
sehe Verwandte.

3) Hoffnung

Mehr Möglichkeiten
sind tatsächlich vorhanden,
so sie erstritten.

4) Mensch-Sein

Jäh Wohlbefinden
trage jede Entscheidung:
gemeinsam bedacht.


Zum Geleit CLII

Zur AS-Sitzung am 15. April 2021

Unter dem Eindruck der Pandemie und der Verdrängung der universitären Begegnung in den „digitalen Raum“ wachsen die Kontroversen in der Universität. Ist wirkliche demokratische (Mit-)Bestimmung ohne Präsenz überhaupt möglich? Die Praxis des autoritären Top-Down mit Dienstanweisungen und Lockdowns spricht nicht dafür. Die gemeinsame Verantwortung für ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Lernen aus der Geschichte werden dagegen von den Mitgliedern des AS – zunehmend im Konflikt mit der Uni-Leitung – eingefordert. Ein gemeinsamer Aufruf für den 8. Mai als (Feier-)Tag der Befreiung vom Faschismus und ein Beschluss, die Universität bis 2030 CO2-neutral zu organisieren, sind Ausdruck dessen. Die Partizipation der Uni-Mitglieder an ihrer Entwicklung wird durch erweiterte gesellschaftliche Veränderungsambitionen erwirkt.

Fällige Entscheidung

In Möglichkeiten


Die Welt – zur Zeit im Argen,
Gerechtigkeit im kargen
Raum verklemmten Handelns eng.
Mißmut bestimmt Gedanken,
Weltbilder heftig wanken,
Regierungen handeln streng.

Was besser einst gewesen
ist Hilfe zum Genesen.
Neuer Anlauf ist nötig:
Hinaus aus der Erstarrung,
gelingt gute Besserung,
wenn wir nicht ehrerbötig,

Die Einigung fällt leichter,
sodann wir wen´ger seichter
durch schweren Alltag gehen.
Die Sinne schärfer richten,
auf tieferliegend Schichten,
läßt uns genauer sehen.

Die Burschen können fechten
und sollten Körbe flechten,
derweil die meisten lachen,
kämpf´rische Freude machen,
den Laden übernehmen,
den Armen Brote geben,
dazu Musik und Tanz:
das volle Leben ganz!


Zum Geleit CLIII

Zur AS-Sitzung am 06. Mai 2021

Zwischen humanem sozialem und rein technologischem Fortschritt unterscheiden zu lernen, ist ein wesentlicher (Bildungs-)Auftrag der Universität. Technologiefolgeabschätzung sollte nicht erst beginnen, wenn die Schäden kaum mehr zu bewältigen sind. Entfremdung in der Arbeit und Intensivierung der Arbeitslast sind auch dann ein Problem, wenn sie – durch die Verlagerung ins Homeoffice – weniger zur Sprache kommen und „unsichtbar“ gemacht werden. Das wird anlässlich der Vorstellung des neu eingestellten „Chief Digital Officers“ der Universität von nahezu allen Gruppen im AS mit unterschiedlicher Schärfe problematisiert. Das Paradigma von „Fortschritt durch Technik“ hat sich als überholt erwiesen. Die Uni muss daraus Schlussfolgerungen ziehen.

In Erwägung eines Besseren

„Wir müssen lernen, auf neue Art zu denken. Wir sollten nicht mehr danach fragen, welche Mittel und Wege dem militärischen Siege der von uns bevorzugten Partei offen stehen. Solche Möglichkeiten gibt es nämlich gar nicht mehr. Vielmehr stehen wir vor der Frage, auf welche Weise eine militärische Auseinandersetzung, deren Folgen für alle Beteiligten unheilvoll sind, verhindert werden kann.“

„Einstein-Russell-Manifest“, 1955.

1) Ursprung

Der Abwurf von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 erfordert(e) ein neues Denken hinsichtlich der Abrüstung bzw. Gewaltfreiheit der internationalen Beziehungen menschlicher Weltgemeinschaft.

2) Uneingelöst

Die fortgesetzte Aufrüstung und machtpolitische Kriege bleiben zerstörerisch und gefährlich. Humane Zwecke kommen nicht zum Zuge. Rüstung tötet auch ohne ihren direkten Einsatz. Die Wahrheit leidet nicht zuletzt.

3) Auf der anderen Seite

Gesundheit, Bildung, Kultur, soziale Gerechtigkeit, Optimismus und angenehme Persönlichkeiten wachsen mit der Beendigung von Kriegen, nützlicher Produktion, ziviler Entwicklung sowie der Minimierung militärischen Denkens.

4) Mentaler Einsatz

Die Wissenschaften erfüllen ihre soziale Verantwortung der Aufklärung in der Ermittlung von Friedensursachen. Die Kultivierung von Konflikten ist die Alternative zur Zerstörung.


Zum Geleit CLIV

Zur AS-Sitzung am 10. Juni 2021

Weltweit verschärfen sich Krisen und Konflikte – Ungleichheit, Klima, Kriege, Krankheit sind global bewegende Probleme, die gelöst werden müssen. Wissenschaftsbasierte, aufgeklärte gesellschaftliche Gestaltung ist nötig. Im AS wird unser diesem Eindruck der neue Schwerpunkt des „Wissenschaftstransfers“ kritisch diskutiert: Es soll nicht vor allem um prekäre Start-ups und privatwirtschaftliche Wertschöpfung gehen, sondern um eine soziale, nachhaltige Entwicklung für alle Menschen. Es lässt sich auch seitens der Uni-Leitung nicht verhehlen, dass dafür auch Bildung in Präsenz und die inspirierende Begegnung der Wissen-Schaffenden notwendig sind. Die Rückkehr zur Präsenzlehre erfordert auch eine vertiefte Kritik des „Digitalen“:

Real übersteigt digital

„In digitalen Seminaren von überschaubarer Größe kann es lebendig und konzentriert zugehen. Aber bei dieser Bilanz blieb einiges auf der Strecke oder wurde beschwiegen. Da ist zuallererst die Situation der Studierenden. Denn gerade wer den Winter über die Zoom-Gesichter betrachtete, sah, wie sie sich von Woche zu Woche bei aller Tapferkeit der Resignation und Depression annäherten. Inzwischen hat man drei Semester, das ist die Hälfte eines Bachelorstudiums, in kleinen Zimmern vor dem Bildschirm verbracht. Oder ist ins Elternhaus zurückgekehrt, im Bildhintergrund stehen die alten Stofftiere. (…)
Aber es geht nicht nur um Stimmungslagen in einer Lebensphase, in der man eigentlich reichhaltige soziale und emotionale Erfahrungen macht, sondern auch um Verluste für die Gesellschaft. An einem Beispiel: Studierende lernen Differenz kennen. Von der Differenz des Wissens über die Lebensformen, der Überzeugungen und Redeweise bis hin zu Unterschieden bei Klei- dung und Essverhalten. Die Universitäten sind der Ort, an dem diese ebenso bereichernde wie verunsichernde Differenzerfahrung in Dialog und zivilisiertes Nebeneinander überführt wird. Genau das lernt man aber nicht in Onlineseminaren, sondern bei direkten und ungeplanten Begegnungen auf Partys, beim Uni-Sport, beim Gang zwischen den Gebäuden oder in der Cafe- teria, wo man vielleicht neben der chinesischen Kommilitonin zu sitzen und mit ihr ins Gespräch kommt. (…)
Und da wir jetzt alle geimpft werden: Der Hochschulkörper könnte eine Zusatzinjektion von fröhlicher Wissenschaft, von Mut und Zukunftsfreude vertragen.“

Prof. Dirk von Petersdorff (Literaturwissenschaft / Uni Jena), „Schweigen an den Unis / Warum so passiv bei Rückkehr zur Präsenz?“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 4.6.2021.

1) Ein Verhältnis

Nicht Passivität
verursacht Mutlosigkeit:
Courage läßt nicht ruh´n.

2) Bildung

Begegnungen sind
stets die soziale Essenz:
Lernen ist menschlich.

3) Grundrechtlich

Beste Garantie
der positiven Freiheit:
Ambition der Tat.

4) Modus operandi

Ernstes heiter und
Heiteres ernst zu nehmen:
große Reichweite.


Zum Geleit CLV

Zur AS-Sitzung am 08. Juli 2021

Ein Sommerloch gibt es nicht – allerdings eine verbreitete Überforderung damit, Verantwortung und Organisation für die (fast) allseits für notwendig erachtete Präsenzuniversität zu übernehmen. Dafür muss seitens der Uni-Leitung das Misstrauen gegenüber den Mitgliedern verlassen werden und seitens vieler Mitglieder gleichfalls die Forderung, dass es „von Oben“ einfache Lösungen regnen möge. Alle sind gefragt: Wo kommen wir her? Wo wollen wir hin? Wie kommen wir kooperativ voran?

Heute heißt morgen, über gestern hinaus

„Heute zwischen Gestern und Morgen
Wie Gestern und Morgen
sich mächtig vermischen!
Hier ein Stuhl – da ein Stuhl –
und wir immer dazwischen!
Liebliche Veilchen im März –
Nicht mehr.
Proletarier-Staat mit Herz –
Noch nicht.
Noch ist es nicht so weit.
Denn wir leben –
denn wir leben
in einer Übergangszeit –!

Geplappertes A – B – C
bei den alten Semestern.
Fraternité – Liberté –
ist das von gestern?
Festgefügtes Gebot?
Nicht mehr.
Flattert die Fahne rot?
Noch nicht.
Noch ist es nicht so weit.
Denn wir leben –
denn wir leben
in einer Übergangszeit –!

Antwort auf Fragen
wollen alle dir geben.
Du mußt es tragen: ungesichertes Leben.
Kreuz und rasselnder Ruhm –
Nicht mehr.
Befreiendes Menschentum –
Noch nicht.
Noch ist es nicht so weit.
Denn wir leben –
denn wir leben
in einer Übergangszeit –!“

Kurt Tucholsky alias Theobald Tiger, „Die Weltbühne“, 31.05.1932, Nr. 22, S. 831.

Ob es so oder so oder anders kommt, ist – immer wieder neu - zu bestimmen.
Beurteilend geschaut sei: in die Geschichte, die Welt, die nächste Umgebung, auf die Haltung (nicht auf das Posing), in die Bücher bzw. die eigenen Gedanken, auf die Unterschiede, zähe, ermüdende Gewohnheiten sowie einstweilen aufblitzende Potentialität.
Auf diese Weise mag uns der Übergang zu etwas Besserem gelingen.


Zum Geleit CLVI

Zur AS-Sitzung am 09. September 2021

Das Wintersemester naht. Die „große“ Politik ist im Show-Modus des Wahlkampfes. Was tun? Die in gemeinsamer Diskussion gewonnene Rationalität und Kollegialität steigern den Mut, das neue Semester in Präsenz und mit einer sozial aufmerksamen Kultur zu beginnen. Die durch die Pandemiemaßnahmen entstandenen Herausforderungen – von der Mehrbelastung in der digitalen Lehre bis hin zur sozialen Exklusion von Studierenden – sind gewaltig. Es überwiegt aber der Entschluss, mit dem neuen Semester das Leben für Alle etwas besser zu machen.

Zur Entscheidung

„Ökonomisch betrachtet war Merkels Politik dagegen alles andere als progressiv, sondern stand für die neoliberale Entlastung der Starken und einer erheblichen Vertiefung des Gefälles zwischen Arm und Reich.
Was steht vor diesem Hintergrund auf dem Spiel? Mit Armin Laschet kandidiert, mehr noch als Merkel, der Inbegriff eines progressiven Neoliberalismus: gesellschaftlich tolerant und offen, ökonomisch wirtschaftsliberal – qua Unions-Wahlprogramm mit Steuersenkungen bei gleichzeitigem Beharren auf der schwarzen Null – und zudem als Mann des Kohlelandes Nordrhein-Westfalen unvermindert fossilistisch. Dieses Programm eines unverminderten ›Weiter so‹ geht an den wahren Problemen des Landes radikal vorbei. Was heute Not tut, ist ein präventiver, vorbeugender Staat und eine weitsichtige, nicht bloß reaktive Außen- und Europapolitik.“

Albrecht v. Lucke, „Das Erbe der Merkel-Ära: Aus Krise wird Katastrophe“, „Blätter f. deutsche u. internationale Politik“, 9/2021, S. 5-8, hier S. 7.

1) Vorab

Die Fahrt „auf Sicht“ ist zu beenden. Erfahrungen, Karte, Kompaß, Fernrohr und Team stehen für eine gute Fahrt zur Verfügung.

2) Position

Neutralität ist eine Illusion. Im Zweifel ist gegen den Wind zu kreuzen.

3) Überzeugte Gemeinschaft

Das reine Individuum ist eine Figur der Werbung. Der Mensch hat stets Verbindungen. Sie können förderlich sein.

4) Haltung

Im Erkennen der Alternative entsteht Heiterkeit. Solidarität ist ein menschliches Bedürfnis – wesentliches Potential.

„Freude
Freude soll nimmer schweigen.
Freude soll offen sich zeigen.
Freude soll lachen, glänzen und singen.
Freude soll danken ein Leben lang.
Freude soll dir die Seele durchschauern.
Freude soll weiterschwingen.
Freude soll dauern Ein Leben lang.“

Ringelnatz, 1910.


Außer der Reihe: Zum Hearing des Kandidaten für das Amt des Uni-Präsidenten, Prof. Hauke Heekeren

Zur AS-Sitzung am 28. Oktober 2021

Der dreisemestrige Lockdown der Universität hat auch dazu geführt, dass die (Vor-)Auswahl des künftigen Uni-Präsidenten nur in einem sehr kleinen, nahezu geheimen Zirkel stattgefunden hat. Nun soll der AS seine Zustimmung geben. Wir sind skeptisch, dass der von der Findungskommission nominierte Kandidat den Herausforderungen gerecht werden kann und zuversichtlich, dass eine zunehmend kooperativ aktivierte Mitgliedschaft der Universität Vieles zum Besseren wenden wird.

Um die Not zu wenden: Wozu brauchen wir einen Präsidenten?

„Portia: Wenn das Tun ebenso so leicht wäre wie das Wissen, was zu tun gut wäre, dann wären die Kapellen Kirchen, und die Hütten der Armen wären Fürstenpaläste.“

William Shakespeare, „Der Kaufmann von Venedig“ (1596 o. 1597), Erster Akt/Zweite Szene, in einer Übersetzung von Erich Fried, Berlin 1984/2014.

1) Handlungsbedarf

Frieden hat nicht Vorrang auf der Welt. Die Armut ist nicht beseitigt.
Der Klimawandel bleibt bedrohlich.
Das Ewiggestrige ist nicht vollständig untergegangen.
Die Hochschulen – nicht nur sie – sind nicht ausreichend resp. bedarfsgerecht finanziert. Das Ba-/Ma-System bleibt wissenschaftlich, persönlich und gesellschaftlich unbefriedigend. Die soziale Lage Vieler ist auch an den Hochschulen prekär.
Wer will weiter warten?

2) Forschung Lehre Bildung

Auftrag: Ergründen, was geworden, unzureichend, veränderbar und sich vorzunehmen ist. Modus: Lehren als gemeinsames Lernen für das Schaffen von aufgeklärten, verantwortlichen und kooperativen Persönlichkeiten.
Haltung: Gelächter nicht scheuend, Neues historisch bewußt zu wagen, weitet Blick und Atmung. Erkenntnisse erwarten erfreuliche Entfaltung.

3) Demos und Republik

Die Universität ist ein kultureller Organismus, alle Mitwirkenden haben Bedeutung.
Die plurale Einheit von Fächern, Gremien, Gruppen und Akzenten ist eine potentielle Stärke. Die Aufklärung sei Maßstab für die gesellschaftliche Entwicklung in eine menschenwürdige Richtung.
Das kulturelle Niveau der Res publica wird realisiert durch das vielfältige gemeinsame Engagement ihrer Mitglieder.
Haben Hungrige hoffnungsvolle Heiterkeit?

4) Der „gute König“

Die Person an der Spitze steht auf einer Pyramide. Dieser Bau ist mühsam erschaffen. Ein Präsident hat keine Untertanen. Die gemeinsame Konstitution ist demokratisch.
Eine gute Leitungsperson ist kollegial. Sie wird gewählt.
Der fortwährende Dialog dient Vertiefung und Erweiterung. Entwicklung ist eine unendliche Geschichte.
Können Kompetenzen klaglos kreieren?

Hamburg, den 22. Oktober 2021
Svenja Horn, Golnar Sepehrnia , Olaf Walther


Zum Geleit CLVII

Zur AS-Sitzung am 25. November 2021

In dieser Sitzung will sich der Akademische Senat vor allem mit der Problematik der Wissenschaftsfreiheit auseinandersetzen. Sie ist ein geschütztes Grundrecht. Aber wen schützt sie? Wovor? Und vor allem: wofür?
Die wachsende soziale und politische Polarisierung der Gesellschaft fordert auch die argumentative Streitbarkeit aller Wissenschafts-Subjekte neu heraus. Nicht jede Frage ist klug. Nicht jede Infragestellung historisch gewonnener Erkenntnisse legitim und berechtigt. Kontinuierlich zu reflektieren ist: Freiheit – wofür?

Der Vorteil der Verantwortung

„Auch Krankheiten und sogar Kriege veranlassen mich zum Nachdenken darüber, was für Fehler ich gemacht haben kann.“

Bertolt Brecht, „Schuld des Einzelnen“, „Me-ti / Buch der Wendungen“, entstanden im Exil der 1930er Jahre.

1) Ausgangspunkt

Im Zusammenhang
sich handelnd zu begreifen
schafft Selbst-Bewußtsein

2) Erster Schritt

Das Gegebene
stets kritisch zu befragen,
bestimmt die Richtung.

3) Der Weg

Frohe Entfaltung,
gemeinsam unternommen,
kreiert Bewegung.

4) Das Ziel

Die Menschenwürde
als Sinn, Inhalt und Modus
ist Kern des Lebens.


Zum Geleit CLVIII

Zur AS-Sitzung am 16. Dezember 2021

Erneut, und nach einer kurzen Phase der Rekultivierung, will die Uni-Leitung uns alle wieder in die digitale Lehre zurückschicken und verordnet „2G“ für Lehrveranstaltungen. Der AS diskutiert aber aufmerksam und kritisch, die zunehmende psychische Belastung der Studierenden und Mitarbeiter:innen durch die fehlenden sozialen Kontakte. Es regt sich menschenfreundliche Kritik: Insbesondere die Universität mit Angst und Kontrolle zu versehen, anstatt als Ort der gemeinsamen Gewinnung von rational fundierter Handlungsfähigkeit zu kultivieren, wird kontrovers diskutiert.
Jedes Pathos sollte nicht ohne verallgemeinerungswürdiges Ethos sein.

Realismus!

„Realismus bedeutet, meines Erachtens, außer der Treue des Details die getreue Wiedergabe typischer Charaktere unter typischen Umständen.“

Friedrich Engels an Margaret Harkness [Romanautorin], London, Anfang April 1888.

1) A & O

"Sitz im Leben"
Die Wirklichkeit ist
zugleich Ausgangspunkt und Ziel
von Ethos und Mensch

2) Alle

Sein
Die Betroffenheit
ist nicht rein emotional,
sie ist gegeben.

3) Neu

Aufbruch
Die Eindämmung ist
zu bedenken, änderbar,
vor der Tür die Welt.

4) Modus

Lebendige Einheit
Denken und Handeln
verbindet alle Menschen,
die stets mehr wollen.