HomePublikationen › Flugblatt von Liste LINKS und harte zeiten mit SDS* vom

Wendepunkt

Für eine bessere Entwicklung

Offenheit
„Der Mensch gewöhnt sich verblüffend schnell an zivilisatorische Einschnitte, und es stimmt ja – das Gesicht ist und war immer ein Herd von Viren und Bazillen, eine gesellschaftliche Schleuder des Speichels und der Ansteckung. Dass das Menschenantlitz aber auch etwas anderes ist, nämlich der Spiegel unserer Seelen, den wir nicht aus fadenscheinigem Grund voreinander bedecken sollten, und dass es womöglich albern, würdelos und übrigens auch nicht gesund ist, monatelang aus Erwägungen, die man aus epidemiologischer Sicht nur diffus nennen kann, durch Papiertüten atmen zu müssen, das sollte man vielleicht auch nicht ganz vergessen. Einander mit entblößtem Gesicht zu begegnen war stets etwas Riskantes, nicht nur für Neurotiker. Dieses Risiko zu akzeptieren und den Ekel vor dem Menschenantlitz zu überwinden wäre aber nun einmal die Grundlage eines zivilisierten Humanismus.“

Daniel Kehlmann (Schriftsteller), „Wollen wir die maskierte Gesellschaft?“/“Fremde Federn“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 29.7.2022, S. 8.

Es war einmal...
„Hunderttausende demonstrierten in den Siebziger- und Achtzigerjahren gegen die Wiederaufbereitungsanlage im bayerischen Wackersdorf oder das Atomkraftwerk Brokdorf in Schleswig-Holstein, es gab Tote und Verletzte. Das Nein zur Kernenergie verbindet Ultrarealos wie den früheren Außenminister Joschka Fischer mit harten Linken wie den einstigen RAF-Anwalt Hans-Christian Ströbele. Der fasste in einem Tweet die Stimmung vieler zusammen: ›Grüne wollten immer Frieden schaffen ohne Waffen´ nunFrieden schaffen mit immer schwereren Waffen´. Und nun noch `AKWs ja bitte´?‹, schrieb Ströbele.
›Wann kippt die nächste Säule? Bloß nicht.‹“

Autorenteam, „Ende der Geschlossenheit“, „SPIEGEL“ Nr. 32/30.7.2022, S. 27-29, hier S. 27.

Es könnte wieder sein...
„FAS: Die Deutschen sind durch die hohen Preise für Gas, Strom und Benzin sehr belastet, aber es wird keine Hungersnot geben. Muss es immer um Leben und Tod gehen, oder kann sich ein Aufstand schon an der Sorge um die bürgerliche Existenz entzünden?
Rucht: Das kann reichen. Oft ist die Ursache eine allgemeine Erfahrung der Enttäuschung und Benachteiligung. Bei Ausschreitungen in afroamerikanischen Vierteln in den USA gab es Hunderte Tote. Und da geht es nicht primär um Hunger, sondern um eine Mischung aus Polizeigewalt, unbezahlbaren Mieten, hohen Lebensmittelpreisen und Vernachlässigung der Infrastruktur. Da können sich viele Probleme verdichten, bis der Punkt erreicht ist, wo das Ganze kippt. Die Leute haben das lange ertragen, aber sagen dann: zuviel ist zuviel!“

Dieter Rucht (Soziologe/“Protestforscher“), im Gespräch mit „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 31.7.2022, S. 4.

„Die Deutschen“, so die „Zeitung für Deutschland“ in ihrer Sonntagsausgabe (s.o.), sollen froh sein, daß keine Hungersnot bevorsteht. (Bei den Lebensmittelpreisen?)

Auch geht es nicht um die
„Sorge um die bürgerliche Existenz“, sondern darum, ob es der Mehrheit der Menschen gesellschaftlich, gruppenspezifisch und persönlich – hier und auf der ganzen Welt – besser oder schlechter geht.

Es ist zu viel des Zuwenig. Der gut begründete Protest gegen die Atomkraftwerke speiste sich nicht nur aus ökologischen und gesundheitlichen Gründen, sondern war (und ist) ebenso ein ziviles Kontra zur Herstellung, Aufstellung, Bedrohung oder gar Anwendung von Atomwaffen, die aus spaltbarem Material aus
der Kernenergie hergestellt werden können.

Das Aus für die Kernenergie hat mithin auch friedenspolitische Relevanz. Die atomare Abrüstung gehört zu den ersten objektiven Erfordernissen einer humanen globalen Entwicklung.

Darüber hinaus reiht sich die Beendigung der Atomkraftwerke ein in die dringend notwendige Energiewende: Die (internationale) Wandlung von fossiler Energiegewinnung hin zu regenerativer Erzeugung für Haushalte, Verkehr und Produktion ist die beste Alternative für die Bewältigung der Klimakrise, die Gesundheit der Menschen sowie ein kooperatives Vorankommen der Gesellschaften auf der Welt.

Dafür sind die großen Konzerne mit ihren gestiegenen Gewinnen zunehmend in die soziale Pflicht zu nehmen – durch entsprechende verbindliche Steuererhebungen und politische Regulative.

Auch Armut, Elend und Inflation sind kein Schicksal. Durch höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen (Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, intensivierte Mitbestimmung) wird eine Besserung der gesellschaftlichen Lebenssituation erreicht.

Desgleichen wird die soziale Lebensqualität durch die bedarfsgerechte öffentliche Finanzierung öffentlicher Aufgaben (Gesundheit, Bildung, Kultur, Soziales und Infrastruktur) erhöht, die vielfältige Krise überwunden und den Immer- Rechten ein Schnippchen geschlagen.

Die Wissenschaften sollten daran nicht unbeteiligt sein. Im besten Fall leisten sie einen gehörigen Beitrag zu erhellender Aufklärung, kultiviertem Frieden, kooperativer Völkerverständigung, für ein rationales Verhältnis zur Natur sowie für die „Überwindung der Mühseligkeit der menschlichen Existenz“ (Bertolt Brecht, „Leben des Galilei“).

Weise
Worte werden wohl
Wirklichkeit, wenn wir wagend
weitschauend wirken.