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Frieden als soziale Entwicklung
Zugehört
„Ich fragte, was sie [Fahrer, die die Anhalterin mitnahmen] in diesem deutschen Herbst 2022 beschäftigt, und viele wollten gerne reden. Sie machten sich große Sorgen wegen des Ukrainekrieges oder wie sich die Preise weiterentwickeln würden. Vor allem aber erzählten viele von einem großen Frust über die Politik. Sie erleben Debatten und Gesetze in Berlin nicht mehr als Teil ihrer eigenen Lebenswelt. Sie verstehen ihre Regeln nicht, und sie glauben auch nicht, dass die Politik ihnen helfen oder sie unterstützen kann. Sie sagen, dass sie Politikern nicht mehr vertrauen. Und das liegt nicht an der Ampelregierung, sagen sie, das hat sich über die letzten Jahre so entwickelt.“
Wibke Becker, „Deutschland per Anhalter“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 30.10.2022, S. 3.
Distanz
„Paris, Anfang Oktober, die Sonne scheint, der Finanzchef des weltweit größten Luxuskonzerns LVMH wirkt zufrieden. Champagner sei gefragt wie lange nicht, ebenso teure Kleidung und Lederwaren. Zu seinem Unternehmen gehören Marken wie Louis Vuitton, Dior oder Bulgari. In Europa hätten in den vergangenen Monaten besonders die Deutschen und die Briten kräftig zugeschlagen. (…) Die Vermögensforschung zählt jene zu den Superreichen, die mindestens 30 Millionen Dollar haben. Zu den wohlhabendsten Deutschen gehören Dieter Schwarz, Klaus-Michael Kühne, Susanne Klatten und Stefan Quandt, allesamt Unternehmer. Schätzungen zufolge leben in Deutschland ungefähr 200 Milliardäre.“
Sarah Huemer, „Cool bleiben in der Krise“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 30.10.2022, S. 29.
Aus der Geschichte (der Extreme) lernen
„Als mäßiger Mann und Sohn der Bildung hege ich zwar ein natürliches Entsetzen vor der radikalen Revolution und der Diktatur der Unterklasse, die ich mir von Hause aus schwerlich anders als im Bilde der Anarchie und Pöbelherrschaft, kurz, der Kulturzerstörung vorzustellen vermag. Wenn ich mich aber der grotesken Anekdote erinnere, wie die beiden vom Großkapital bezahlten Retter der europäischen Gesittung, der deutsche und der italienische [Hitler und Mussolini], zusammen durch die Florentiner Uffizien schritten, wohin sie wahrhaftig nicht gehören, und der eine dem anderen versicherte, daß alle diese ›herrlichen Kunstschätze‹ also der Zerstörung durch den Bolschewismus anheimgefallen wären, wenn nicht der Himmel durch ihrer beiden Erhöhung dem vorgebeugt hätte-, so rücken meine Begriffe von Pöbelherrschaft sich neuartig zurecht, und die Herrschaft der Unterklasse will mir, dem deutschen Bürger, als ein Idealzustand erscheinen, im nun möglich gewordenen Vergleich mit der Herrschaft d e s A b s c h a u m s.“
Thomas Mann, „Doktor Faustus/Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde“, 1947, Frankfurt/Main (Fischer Verlag, Taschenbuch) 1984, S. 339f.
Respekt ist eine materielle Tatsache mit geistigen und strukturellen Voraussetzungen.
Das könnte der amtierende Bundeskanzler, Mitglied in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), der in Hamburg die reformierte JuristInnenausbildunng absolviert hat, Zivildienst statt Kriegs- oder Wehrdienst geleistet hat und vor seiner politischen Karriere Anwalt für Arbeitsrecht war, auch wissen und nach wie vor für gesellschaftlich und persönlich relevant halten. (Er hat sogar während seiner Studienzeit in einer WG gewohnt.
Ihm sind also die sozialen Bedingungen der Studierenden, die sich übrigens seitdem verschlechtert haben, einigermaßen bekannt.) Tempi passati? Eine enorme militärische Aufrüstung, die Repressalie Hartz IV, milde Steuern bei Vermögenden und das Beharren auf der
„Schuldenbremse“ lassen sich jedenfalls nicht logisch aus diesen Vergangenheitsdaten mit gutem Gewissen ableiten.
Die meisten Milliardäre oder Multimillionäre haben entweder ein Unternehmen gegründet oder es geerbt. (Die Erbschaftssteuer ist übrigens ein Witz. Der Großteil der Erbschaften und Schenkungen wird nicht besteuert.) Weltweit ist in den letzten Jahren die Zahl der Milliardäre stark angestiegen. Das äußert sich auch in dem wachsenden Luxuskonsum. Dieser selbst, wenn auch nicht besonders schön und sozial eminent unsensibel, ist aber nicht das eigentliche Problem. Der Mangel an Steuer-, Sozial- und Lohnzahlungen sowie bezüglich erforderlicher Investitionen ist die andere Seite von hohen Vermögen, Unternehmensaufkäufen und börslichen Spekulationen.
Diese gesellschaftlich erarbeiteten Mittel in privaten Händen fehlen allüberall: Im Topf der arbeitenden Bevölkerung(en), im Gesundheits-, Sozial-, Kultur- und Bildungsbereich, in der öffentlichen Infrastruktur (Wege und Gebäude) sowie für den Einsatz zur Bewältigung der Klimakrise und nicht zuletzt für eine echte Entwicklungshilfe zur Überwindung des globalen Nord-Süd-Gefälles. Hinzu kommen exorbitante Gewinne in der jüngsten Vergangenheit bei beispielsweise Militär-, Erdöl- und Pharmaunternehmen. Dem gesellschaftlichen Bedarf angemessene Steuern sowie gleichfalls die Freigabe von Patenten bei Impfstoffen für bedürftige Länder sind politisch (bislang) nicht vorgesehen. Hier ist ein politischer, sozialer und kultureller Richtungswechsel dringend erforderlich. Ohne gesellschaftlichen Nachdruck ist dieser allerdings nicht zu erwarten.
Die Akteure für eine bessere Entwicklung sind dennoch vorhanden. Sie regen sich zunehmend hier und da.
In den Gewerkschaften, in den Parteien, in den öffentlichen Einrichtungen und, nicht zuletzt, auch in der Friedensbewegung. Wer Frieden positiv definiert, sieht darin untrüglich eine gewaltfreie Verbesserung der sozialen Lebensbedingungen und den emanzipatorischen Bruch mit der vermeintlichen Alternativlosigkeit sowie dem Prinzip von Befehl und Gehorsam.
Wenn die Wissenschaften neu ihre Verantwortlichkeit für das Allgemeinwohl darin entdecken, können sie ihren Sinn steigern.
Aus der Geschichte läßt sich lernen.