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Wem nützen „Sündenböcke“?
„Herr Minister, das Thema Migration beschäftigt das Land. Die Debatte, die wir dazu führen, klingt anders als noch vor wenigen Jahren. Robert Habeck stimmt die Grünen auf >moralisch schwierige Entscheidungen< ein, und auch andere reden plötzlich weniger über die deutsche Verantwortung gegenüber den Flüchtlingen in dieser Welt und mehr über den Zusammenhalt im eigenen Land. Wird jetzt ausgerechnet die rot-grün dominierte Ampel Merkels Migrationspolitik revidieren?
Ich weise zurück, dass die Bundesregierung rot-grün dominiert sei, aber richtig ist, dass wir eine andere Migrationspolitik brauchen. Die ethische Abwägung hat sich aus meiner Überzeugung schon seit langer Zeit umgedreht. Neben unserer humanitären Verantwortung gegenüber Menschen auf der Flucht liegt der Fokus jetzt auch stärker auf dem Erhalt des sozialen Friedens in Deutschland. Denn wir sind an Grenzen gekommen und können nicht mehr hinnehmen, dass die Kontrolle über den Zugang in unsere Gesellschaft verloren geht. Wir müssen souverän entscheiden: Wen laden wir ein, sein Glück in unserem Arbeitsmarkt zu suchen? Mit wem sind wir aus humanitären Gründen solidarisch, und bei wem liegen solche Gründe nicht vor. Illegale Migration muss gestoppt werden. (...) Aber die FDP ist gewählt worden für den Gedanken der Eigenverantwortung, für Respekt vor Eigentum und Leistung, für marktwirtschaftlichen und technologieoffenen Klimaschutz und für den Gedanken, dass Wohlstand erst erwirtschaftet werden muss.“
Christian Lindner (FDP-Chef und Bundesfinanzminister) im Interview mit „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 1.10.´23, S. 5.
„Wer darf bleiben, wer muss gehen? Die Beantwortung dieser Frage entscheidet darüber, ob wir uns endgültig von jenem Leitmotiv moralischen Tuns verabschieden, das Immanuel Kant als kategorischen Imperativ formulierte: >Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.< Wäre die Maxime im Umgang mit allen Menschen gegenwärtig jene, die bei Geflüchteten angewendet wird, bliebe den meisten von uns nur die Flucht.“
Kathrin Gerlof, „Lampedusa zeigt: Menschlichkeit ist zu einem sehr dehnbaren Begriff geworden“, „der Freitag“, Nr. 39/28.9.´23, S. 1.
„Der Paß ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Paß niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.“
Bertolt Brecht, „Flüchtlingsgespräche“, entstanden im Exil der frühen 1940er Jahre.
Wissenschaftlich erwiesen sind folgende inhumane Tatsachen: Krieg gilt als erste akute Fluchtursache. Tödliche Gewalt gegen Zivilisten durch die Kriegsparteien oder paramilitärische Gruppen, dabei schwere Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte. Außer Landes oder in benachbarte Regionen treiben auch politische Verfolgung, wirtschaftliche und soziale Verelendung sowie gesellschaftlich verursachte Natur-Katastrophen oder Klimaveränderungen und ebenso die rabiaten Folgen von Großprojekten (z.B. Staudämme) oder die großräumige Ausbeutung von Bodenschätzen. Darüber hinaus setzen viele militärische Gruppen Gewalt gegen einzelne Bevölkerungsgruppen ein, um die Rechtsstaatlichkeit zu zerstören und gesetzlose Verhältnisse für eine ungestörte Gewinnmaximierung zu schaffen oder zu wahren. Ein elender und strikt veränderungswürdiger Zusammenhang.
Demzufolge sind Frieden, Abrüstung, Entspannung und pur zivile Entwicklung, die politische Verwirklichung der Menschenrechte, die entschiedene Überschreitung sozialen Elends, die international solidarische Bewältigung der Klimakrise, eine neue Stufe des Katastrophenschutzes bzw. der gemeinschaftlichen Katastrophenhilfe, die rationale Infragestellung von Großprojekten
und dem hemmungslosen Raubbau an der Natur die besten Voraussetzungen dafür, daß Menschen nicht mehr in großer Menge in die Flucht getrieben werden. Engagierte Humanität ist ein wachsendes Erfordernis der Gegenwart.
Dafür ist immer wieder aus der Geschichte zu lernen. Durch das Grundgesetz sind mit dem Friedensgebot, den Grundrechten (am leitenden Anfang die Menschenwürde) sowie der allgemeinen Sozialstaatsnorm wesentliche verfassungsmäßige Schlußfolgerungen aus Diktatur, Weltkrieg und bestialischer Massenvernichtung gezogen worden. Zu diesen positiven Lehren gehörte auch das (weitgehend) uneingeschränkte Asylrecht (Artikel 16). Eine humane Wendung der Geschichte. Dieses Grundrecht ist seit 1993 (sogenannter Asylkompromiß) mehr und mehr eingeschränkt worden und soll nun, ginge es nach bestimmten Damen und Herren, weiter minimiert oder deformiert werden. Sündenböcke sollen dafür herhalten, daß von hier Krieg, Waffenexporte, Umweltzerstörung, Entwicklungsbehinderung sowie hier und da auch die Unterstützung autoritärer Regimes ausgehen.
Aber auch hierzulande steht es nicht zum Besten. Die Aufrüstung und die „Schuldenbremse“ schränken den Sozial-, Bildungs-, Kulturstaat und das Gesundheitssystem ein. Bessere Arbeits- und Lebensverhältnisse stehen dringend auf der gesellschaftlichen Tagesordnung.
In diesem offenkundigen Zusammenhang macht CDU-Chef Friedrich Merz die braune Kröte AfD fett, wenn er Ressentiments gegen Flüchtlinge und MigrantInnen schürt. Aber auch Christian Lindner (s.o.) hat sich nicht gerade mit ethischem Ruhm bekleckert. Das Dogma der nahezu ungehinderten Gewinnmaximierung schafft häßliche Figuren.
Insofern sind Vernunft, Wissenschaft, engagierte Aufklärung und entsprechendes gesellschaftliches Wirken die eigentliche Alternative.
Mit Aussicht
Wachsender Unmut
braucht eine gute Richtung:
Die Menschenwürde!