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Im Kontra zur „Selbstoptimierung“
„SPIEGEL: Viele Menschen sagen mit einem gewissen Stolz von sich, perfektionistisch zu sein. Ist es nicht eigentlich sogar gut, etwas perfektionistisch veranlagt zu sein?
Curran: Ja, so denken tatsächlich viele Menschen. Perfektionismus wird in unserer Gesellschaft glorifiziert. Man könnte sagen, Perfektionismus ist unsere Lieblingsschwäche. Dafür gibt es viele Gründe. Aber der Hauptgrund ist sicherlich, dass wir in einer wettbewerbsorientierten Welt leben und die Gruppe derer, die es geschafft haben, immer kleiner wird. Viele Menschen haben daher das Gefühl, dass Perfektionismus oder zumindest ein gewisses Maß an perfektionistischer Veranlagung nötig ist, um erfolgreich zu sein. Wären wir perfekt, dann wären wir glücklich – so vermittelt uns das die Welt. Aber das ist ein Mythos. In Wahrheit schadet Perfektionismus viel mehr als er nützt. (…) Curran: Ich glaube, das Perfektionismus-Problem lässt sich nicht auf individueller Ebene lösen, egal wie sehr sich jeder einzelne anstrengt. Wir müssten uns als Gesellschaft fragen, ob es nicht Alternativen gibt. Das Problem besteht aus meiner Sicht darin, dass wir immer noch nach Regeln und Logiken leben, die in der Vergangenheit funktioniert haben. Anstatt beispielsweise nach Alternativen für immer mehr Wirtschaftswachstum zu suchen oder wenigstens zu akzeptieren, dass sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt, strampeln wir uns immer mehr ab. Wir konsumieren immer mehr. Wir mühen uns, so viel Geld wie möglich in die Wirtschaft zu pumpen. Wir lassen uns ausquetschen. Wenn ich mich umblicke, sehe ich so viele Kämpfe. So viel Stress. So viel Einsatz. Und es zahlt sich so wenig aus. Ich frage mich deshalb, ob es nicht bessere Maßstäbe für wahren Reichtum als das Wirtschaftswachstum gäbe. Sollten nicht Zufriedenheit oder Lebenserwartung zum Beispiel mehr zählen? Es gibt ja genug von allem. Es ist nur nicht gerecht verteilt. Könnten wir nicht in einer Kultur leben, in der wir achtsamer miteinander umgehen?
(...)“
Thomas Curran (Assistan Professor am Department of Psychological and Behavioural Studies der London Scholl of Economics), im „SPIEGEL-Interview; „SPIEGEONLINE“, 10.9.´23.
„Sie sind Pazifistin. Wie kontern Sie Argumente der Befürworter deutscher Waffenlieferungen?
Dieser ständige Druck, von Helmen und Verteidigungswaffen bis hin zu Angriffswaffen alles zu liefern, treibt die Eskalationsspirale immer weiter voran – ohne dass eine Lösung in Sicht wäre. Die Rede davon, dass es um einen Sieg der Ukraine auf ganzer Linie gehen müsse, bedeutet, dass sich die Bevölkerung auf einen langen Krieg einstellen muss. Ich meine, wir müssen so schnell wie möglich zum Frieden kommen.
Militärstrategen und Politiker stellen Pazifisten als traumtänzerisch dar. Was sagen Sie dazu?
Das ist in der Geschichte immer so gewesen. Die Kriege werden aber enden und müssen es. Die Frage ist nur, zu welchem Preis. Wenn uns gesagt wird, wir wären »Sofapazifisten«, muss ich sagen: Wer hier weitere Waffenlieferungen beschließt, ist ebensoweit davon entfernt, an der Front der Ukraine kämpfen zu müssen“
Margot Käßmann (Theologin und Pfarrerin, Mitglied der DFG-VV/Deutsche Friedensgesellschaft, Vereinigte KriegsgegnerInnen) , im Gespräch mit „junge welt“, 8.9.´23.
„Die ersten, sich vom Tierreich sondernden Menschen waren im Wesentlichen so unfrei wie die Tiere selbst; aber jeder Fortschritt in der Kultur war ein schritt zur Freiheit.“
Friedrich Engels, „Anti-Dühring“ (1878), Marx-Engels-Werke (MEW), Band 20, S. 106.
Das Dogma der Selbstoptimierung oder auch der Eigenverantwortung soll als verinnerlichte Zwangsorientierung den verwertbaren Wert der Einzelnen steigern, in ständiger Konkurrenz zu anderen unter Absehung gemeinsamer Interessen, solidarischen Handelns bzw. der gemeinsamen Gestaltbarkeit human adäquater Lebensbedingungen.
Das TINA-Prinzip („There is no alternative“) soll die Geschichte solcher Bemühungen und ihrer Errungenschaften (Demokratisierung, Sozialstaat, tarifliche Arbeitsbedingungen, Beendigung von Kriegen, Entspannungspolitik, Bemühungen um Verringerung des Nord-Süd-Gefälles, ökologische Ansprüche und Bewegungen) vergessen oder gar verächtlich machen.
Auch Frieden ist kein Hirngespinst oder lediglich die Pause zwischen den Kriegen. Es geht darum, begründet und erforderlicherweise Bedingungen für eine gewaltfreie zivile Entwicklung der weltweiten Gesellschaft und der Persönlichkeiten zu schaffen, was einer sozialen Verwirklichung der allseitigen Menschenwürde entspricht. Der Mensch will keine Wahre, kein Objekt, kein Krieger, kein „verlassenes Wesen“ sein. Das eigentlich Menschliche ist im Gegensatz zum auch Kriegerischen des unbedingt gelten sollenden „Höher, schneller, weiter“ einer vielfach rücksichtslosen Gegenwart.
Die Gegenwärtigkeit mündiger Menschen besteht hingegen darin, „sich seines eigenen Verstandes zu bedienen“, damit die „Menschheit aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit“ hinausschreite.
Aufklärung, kritische Vernunft sowie solidarisches und kooperatives Handeln sind kein Schnee von gestern, sondern das Salz in der Suppe von heute.
Die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Personal- und Lohnausgleich, wie sie die IG Metall auf die Agenda gehoben hat, schafft Arbeitsplätze, Selbstbewußtsein und die Möglichkeit gesellschaftlichen Engagements.
Frieden – die strikte Beendigung von Kriegen, konsequente Abrüstung und (auch geistige) Entmilitarisierung - , als umfassende Entwicklung der Gewaltlosigkeit bildet die Potentiale für umfassende gemeinschaftliche Aufgaben wie die Bewältigung der Klimakrise und der vorurteilsfreien Überwindung des Elends.
Durch dieses Engagement bekommt die tatsächlich praktizierte Demokratie einen neuen Sinn und Charakter, der verinnerlichte Schuldkomplex (man sei nie richtig) kann auf diese Weise aufgelöst werden. Seinesgleichen wird in kritischer Handlungsweise vom vermeintlichen Feind zum potentiellen und wirklichen Freund.
So auch an den Hochschulen und in allen Wissenschaften unter und mit allen Beteiligten an diesem Kultivierungsprozeß. Das Engagement für die Reformierung des Bachelor-/Mastersystems, der bedarfsgerechte Finanzierung der Hochschulen sowie die Ausweitunng der gesellschaftlichen, klug lautgebenden Verantwortung der Wissenschaften bildet Hochschulen, mündige Subjekte und Gesellschaft.
Wir sind keine „Spinner“ oder „Sofapazifisten“. Bange machen gilt nicht. Lachen stellt sich ein.