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Vernunft und Allgemeinwohl
Abwägender Realismus
„Das Osterfest verströmt immer wieder die Magie der Hoffnung. Christen feiern an diesem Sonntag die Auferstehung von Jesus. Aber auch Menschen, die mit der Kirche nichts am Hut haben, träumen von der Möglichkeit einer besseren Welt. So gehen Ostermarschierer mit dem Wunsch auf die Straße, die Kriege im Gazastreifen und in der Ukraine mittels Verhandlungen zu beenden. Von einem derartigen Szenario ist der Nahe Osten Lichtjahre entfernt. Bei alledem darf nicht vergessen werden: Vor Beginn des Gaza-Krieges stand der bestialische Terroranschlag der islamistischen Hamas am 7. Oktober. Die Extremisten provozierten damit eine ultra-harsche Reaktion Israels. Sie
nahmen das schreckliche Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Kauf und bauten auf eine große regionale Eskalation. Das ist zynisch, ruchlos und kriminell. Dennoch hat sich Israels Premierminister Benjamin Netanjahu mit seinem Kurs eines blindwütigen Krieges im Gazastreifen verrannt. Die Bilder von Menschen, die in Trümmerwüsten hausen und kaum etwas zu essen haben,
dürfen nicht als „Kollateralschäden“ verbucht werden. Dass Israel nicht mehr Hilfslieferungen in den Küstenstreifen lässt, ist eine moralische Bankrotterklärung. Mehr als 32.000 getötete Palästinenser beim Kampf gegen die Hamas sind ein massiver Glaubwürdigkeitsverlust für ein Land, das immer stolz auf seine Stärke als einzige Demokratie im Nahen Osten war. Es muss andere Mittel geben, die Terrorgruppe auszuschalten. Netanjahu hat Israel international isoliert. (…) Ohne Angebote an die Palästinenser mit einer Perspektive auf politische Teilhabe, wirtschaftliche Entwicklung und ein Leben in Würde wird die Spirale aus Terror und Krieg nicht durchbrochen werden. Dass dabei Israels Sicherheit gewahrt werden muss, versteht sich von selbst.“
Michael Backfisch, „Völlig verrannt“, „Hamburger Abendblatt“, Osterausgabe, S. 2 (Leitartikel).
Aktuell aus der Geschichte
„Die Weltdemokratie, die 1918 im Besitz unumschränkter Macht war, hat es an allem fehlen lassen, was dem Unglück, in dem wir heute leben, hätte vorbeugen können. Die Befriedung der Welt durch Reformen und Genugtuung für das menschliche Gerechtigkeitsbedürfnis, die es heute erwägt, hätte sie schon damals verwirklichen können und hätte damit dem Aufkommen der Diktatoren und der ganzen dynamisch-explosiven Haß-Philosophie des Faschismus vorgebeugt. Aber der Faschismus, von der der Nationalsozialismus eine eigentümliche Abwandlung ist, ist keine deutsche Spezialität, sondern eine Zeitkrankheit, die überall zu Hause und von der kein Land frei ist. Und nie hätten die Gewalt- und Schwindelregierungen in Italien und Deutschland sich auch nur vier Wochen halten können, wenn nicht eine schmähliche Sympathie ihnen von überall her aus den wirtschaftlich herrschenden und darum die Regierungen bestimmenden Schichten der demokratischen Länder entgegengekommen wäre.“
Thomas Mann, „Schicksal und Aufgabe“, 1944.
Während Spott und Häme über die Friedensbewegung, den UNO-Generalsekretär und auch den Papst ausgeschüttet und die Entspannungspolitik der 1970er Jahre, die ihre Wirkung bis mindestens die 1990er Jahre gezeigt hat, mit Verdrehungen der historischen Tatsachen für falsch erklärt wird, wachsen dagegen Rationalität, historisches Bewußtsein, Weitblick und Humanität im Bemühen, zivilisierte Verhältnisse zu schaffen und das (Kriegs-)Elend zu beenden.
Krieg ist nicht Frieden. Gehorsam ist nicht Freiheit. Gewalt schafft kein Wohlbefinden. Die Verdrehungen von (historischen) Tatsachen machen nicht klüger. Eine aufgeheizte Emotionalisierung schafft keine Perspektive oder einen kulturell angenehmen Alltag.
Dabei stehen Frieden als kooperative soziale Entwicklung, Demokratie als aktive gesellschaftliche Beteiligung, Gewaltfreiheit als Movens aufgeklärter Begegnungen, historisches Bewußtsein als aktuelle Sinngebung sowie eine kluge Sympathie für das Menschliche lebenswürdige gesellschaftliche Bedingungen. Bei zunehmender gemeinsamer Steigerung dieser aufgeklärten höheren Zwecke der internationalen Entwicklung haben auch rechtsextreme Kräfte mit ihren bösartigen Verirrungen kaum eine Chance auf allgemeine Wirksamkeit. Angewandte Vernunft, so praktisch und gemeinschaftlich verstanden, marginalisieren das Ewig-Gestrige auf ein lächerliches Mindestmaß.
Deshalb ist es auch gut und richtig, an die Verheerungen der zwei Weltkriege, an ihre Ursachen und Hauptakteure, aber auch, im positiven Gegensatz, an die Schlußfolgerungen und Ansprüche, die aus dieser Menschheitskatastrophe gezogen wurden, zu erinnern, damit aus diesen Erfahrungen das Uneingelöste der richtigen Bemühungen Rationalität und Energie für eine allseitig humane Entwicklung gebildet werden können.
Somit sind gleichfalls Kriterien gesetzt, die für Wissenschaft, Bildung, ebenso Kunst und Kultur von neu erkannter und couragiert artikulierter Bedeutung sein sollten. Freiheit läßt sich positiv, sozial gerecht und kooperativ bestimmen. Kultivierung als substantieller Faktor.
Dieser gesellschaftliche Bereich, will er seinem eigentlichen Wesen gerecht werden, sollte mit Gewalt, Gehorsam, Günstlingswirtschaft, Geheimniskrämerei, Geschäftedünkel und Großmannssucht nichts am Hut haben. Die Verneinung der Vernunft gebiert Ungeheuer.
Ihre sozial bestimmte Bejahung entspricht dem Wesen des Menschlichen. Zur Verwirklichung dieses Grundanliegens ist jegliche Opposition wider den schädlichen Nonsens sinnvoll. Wir können uns erkennen und jederzeit beginnen. Fortsetzungen folgen mit jedem Schritt in diese Richtung. Nachhaltig.