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„Wir.“ Wer, woher, wohin?
Konservative Nörgelei
„Die Rückkehr >unserer Leitkultur<, die die CDU mit ihrem neuen, zur Verabschiedung auf dem Parteitag im Mai vorgesehenen Grundsatzprogramm betreibt, hat schon jetzt ein bemerkenswertes Ergebnis: Sie versackt im Nichts. Anders als vor 24 Jahren, als es Friedrich Merz schon einmal mit dem Konzept versuchte, hat es jetzt noch nicht einmal eine öffentliche Debatte gegeben, seitdem die Partei ihr Programm im Dezember vorstellte. Offensichtlich ist es nicht unbemerkt geblieben, dass es sich da nur um ein hohles Wort handelt, dem weder eine Realität noch eine Realisierungsmöglichkeit entspricht. (…) Aber natürlich sollen diesem Anspruch in Wirklichkeit nur jene ausgesetzt werden, die von außen kommen, das wird nur nicht so direkt gesagt, wenn es heißt: >Wir erwarten ein ausdrückliches Bekenntnis zu unseren Werten, Grundsätzen und Regeln.< Es fällt nur zu leicht, sich zu einem solchen O-Ton dem grimmig prüfenden Blick eines Kleingartenvorstands vorzustellen, der Ortsfremde sich seiner Anlage nähern sieht. (…) Vom Bundespräsidenten erscheint diese Woche ein Buch mit dem einschlägigen Titel >Wir<. Doch auch Steinmeier macht, abgesehen von einer allgemeinen sozialen Pflichtzeit und einem Abbau bürokratischer >Kontrolldichte< keine strukturellen, den Staat betreffenden Vorschläge; er begnügt sich, mit Appellen aus >Momenten kollektiven Handelns< Kraft zu schöpfen.“
Mark Siemons,“Schon wieder Leitkultur“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (FAS“), 14.4.´24, S.33.
Ein Hinweis auf das Andere
„Alle haben die vage Intuition, daß sie, indem sie aus dem Katholizismus eine Lebensnorm machen, fehlgehen, wofür jedenfalls spricht, daß niemand sich an den Katholizismus als Lebensnorm hält, auch wen er sich Katholik nennt. Ein integraler Katholik, der also bei jedem Lebensakt die katholischen Normen anwenden würde, käme uns wie ein Monster vor, was, wenn man es recht bedenkt, die schärfste Kritik des Katholizismus selbst ist, auch die unumstößlichste. (…) Was vom >philosophischen< Standpunkt am Katholizismus nicht befriedigt, ist die Tatsache, daß dieser trotz allem die Ursache des Bösen in den Menschen als Individuum selbst verlegt, das heißt, den Menschen als genau definiertes und begrenztes Individuum auffaßt. (…) Denn der einzelne kann sich mit all denen zusammenschließen, die dieselbe Veränderung wollen, und wenn diese Veränderung vernünftig ist, kann der einzelne sich in einem imponierenden Ausmaß vervielfachen und eine Veränderung erzielen, die viel radikaler ist, als es auf den ersten Blick möglich erscheint.“
Antonio Gramsci, „Gefängnishefte“, Heft 10 (1932-1935), § 54 „Einführung in das Studium der Philosophie. Was ist der Mensch?“
Wieder einmal schlechte Absichten aus dem Gestern: Wenn mensch es recht bedenkt, kommt die sogenannte Leitkultur zumeist aus dem konservativen Lager, soll zusammenhalten, was divergierend ist, propagiert wesentlich „Sekundärtugenden“ (Ordnung, Sauberkeit, Pünktlichkeit, Fleiß) oder einen provinziellen Heimatbegriff (prost!), was dazu dienen soll, brav und anspruchslos zu sein bzw. „den Ausländer“ Mores zu lehren.
Hinzu kommt dieser Tage die „Kriegstüchtigkeit“, die in ihrem martialischen Pathos sogar vor Kitas und Schulen nicht halt machen soll.
Wer dagegen mindestens seine fünf Sinne beisammenhalten will – was häufiger als amtlich gewünscht geschieht -, der kann sich kritisch auf die Erfahrung von Zwei Weltkriegen, wirklich das Grundgesetz, die Uno-Charta und die 17 Nachhaltigkeitsziele der UNO beziehen.
Überdies auf die Friedensbewegung für eine zivile (Welt-)Entwicklung, die gewerkschaftlichen Kämpfe für bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen, die Auseinandersetzungen für den Sozialstaat, die Bemühungen um die Bewältigung der Klimakrise, das Engagement für eine sozial gerechte Weltwirtschaftsordnung sowie die Aufklärung als menschenwürdige Rationalität – wider alle nervösen Aufregungen und Diffamierungen.
Das gilt nicht zuletzt ebenso für Wissenschaft, Bildung, Kunst und Kultur. Der Mensch hat als gesellschaftliches – soziales, politisches und kulturelles – Wesen einen rationalen und ästhetischen Erfahrungsschatz für die erkennbare und ambitioniert mögliche Gestaltung seiner gemeinschaftlichen Lebensbedingungen. Dieser kulturelle Fundus übersteigt bei Weitem die ordnungspolitische Normierung auf untertänige Sekundärtugenden. Die biedere Reduzierung auf diese Zwergenwelt hat nicht selten in großes Unglück geführt. Auch die Verschiebung von behebbaren Notständen auf einen Sündenbock führt in der Regel zu harten Schäden und der Verschlimmerung der gegebenen und ebenso verbesserungswürdigen Lage.
Freiheit ist ohne Gleichheit und Solidarität nicht zu haben. Die in dieser Weise positiv gefaßte Freiheit bedeutet stets die assoziierte Gestaltung der gesellschaftlichen Bedingungen mit der unverbrüchlichen Tendenz zur Realisierung des (auch internationalen) Gemeinwohls.
Die nationale Propaganda soll wiederholt in die Irre führen und ist an Plumpheit kaum zu überbieten.
Frieden, soziale Wohlfahrt und humane Solidarität haben einen übergeordneten Sinn und dabei in der Tat praktische Relevanz. In dieser Weise gewinnen die Einzelnen auch die Bedeutung, die ihnen gebührt. So ist der Mensch auch kein Monster. Die freundlichen Begegnungen nehmen zu. Die allseitig förderliche Vernunft steht auf der Tagesordnung.