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„Zum Geleit“
„Wenn der, den kein Gesetz straft, oder strafen kann,
Der schlaue Bösewicht, der blutige Tyrann,
Wenn der die Unschuld drückt, wer wagt es, sie zu decken?
Den sichert tiefe List, und diesen waffnet Schrecken.
Wer ist ihr Genius, der sich entgegen legt? –
Wer? Sie, die itzt den Dolch, und itzt die Geißel trägt,
Die unerschrockne Kunst, die allen Mißgestalten
Strafloser Torheit wagt den Spiegel vorzuhalten;
Die das Geweb’ enthüllt, worin sich List verspinnt,
Und den Tyrannen sagt, daß sie Tyrannen sind;
Die, ohne Menschenfurcht, vor Thronen nicht erblödet,
Und mit des Donners Stimm’ ans Herz der Fürsten redet;
Gekrönte Mörder schreckt, den Ehrgeiz nüchtern macht,
Den Heuchler züchtiget, und Toren klüger lacht;
Sie, die zum Unterricht die Toten läßt erscheinen,
Die große Kunst, mit der wir lachen, oder weinen.
Sie fand in Griechenland Schutz, Lieb’, und Lehrbegier;
In Rom, in Gallien, in Albion, und – hier.“
G.E. Lessing, Prolog zur Eröffnung des Nationaltheaters, Hamburgische Dramaturgie, 1767.
Inhalt
0. Editorial
I. Zum Geleit LXII – Und den Menschen ein Wohlgefallen
II. Zum Geleit LXIII – Geld als solches oder Der Mut zu etwas anderem
III. Zum Geleit LXIV – Schwamm drüber? Eine Einwendung
IV. Zum Geleit LXV – Tendenz oder Der richtige Einsatz des Verstandes
V. Zum Geleit LXVI – Umbruch im Spiegel des Morgens
VI. Zum Geleit LXVII – Heitere Seriosität (Eine neue Einheit)
VII. Zum Geleit LXVIII – Die Zahl 68
VIII. Zum Geleit LXIX – Handelndes Denken – Eine Neubewertung
IX. Zum Geleit LXX – Ansprüche fortsetzen
X. Zum Geleit LXXI – Wie bitte? oder Den Ohren trauen
0. Editorial
Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zivilisation oder Barbarei ist die Alternative, die die Welt intensiv beschäftigt.
Die Katastrophe von Fukushima, die Erosion europäischer parlamentarischer Demokratie unter dem Druck der Finanzmärkte, Krieg (Afghanistan, Libyen) und Kriegsdrohungen (Iran), „Burn-Out“ und „Schuldenbremse“ – die Zerstörungskraft der Profite ist enorm. Der „arabische Frühling“, die „Indignados“ aller europäischen Länder, die chilenischen Kämpfe in der Tradition der „Unidad Popular“, „Occupy Wallstreet“ und auch „der Kampf um die Zukunft“ an der Universität Hamburg sind das solidarische Engagement für Menschenwürde, Frieden und echte Demokratie.
Die Bevölkerung nimmt die gesellschaftliche Entwicklung zunehmend selbst in die Hand.
„Wir sind die 99 Prozent!“ Die Universität birgt das Potential, mit demokratischer Bildung und sozialkritischer Wissenschaft, durch Aufklärung und Solidarität ein kluger Part dieser Entwicklung zu sein. Der Akademische Senat (AS) als höchstes Wahlgremium der Universität hat dafür politische Verantwortung. Der „Kampf um die Zukunft“ ist ein Beispiel dafür.
Forschung, Lehre, Studium und Selbstverwaltung bedürfen einer Erneuerung durch humanistische Parteilichkeit.
Die „Geleite“, die wir in dieser Broschüre dokumentieren, sind dafür programmatische Schriften. Wir verfassen und publizieren sie anläßlich jeder Sitzung des Akademischen Senats zur gemeinsamen Orientierung. In ihnen ist eine kämpferisch humanistische Haltung mit literarischen, künstlerischen, politischen und wissenschaftlichen Freunden gestaltet.
In dieser Broschüre ist jedem „Geleit“ eine kurze Einordnung in den Arbeitszusammenhang des Akademischen Senats vorangestellt. So ist auch ein Überblick über die Tätigkeit dieses Gremiums für das Jahr 2011 möglich*.
Das „Bündnis für Aufklärung und Emanzipation (BAE!)“ als Zusammenschluß fortschrittlicher studentischer Gruppierungen an der Universität Hamburg möchte damit (immer kontrovers zu schädlicher Marktideologie und -praxis) zu einer solidarischen, sozial progressiven und couragierten Praxis ermuntern.
Dunkel ist Gestern und verliert seine Schatten:
Hell und heiter seh’n wir weiter.
Wir wünschen anregende Lektüre!
Liste LINKS, harte zeiten – junge sozialisten, Fachschaftsbündnis
(Das Bündnis für Aufklärung und Emanzipation – BAE!)
* Die Beschlüsse des Akademischen Senats dokumentieren wir in einer eigenen Broschüre, auch zu finden unter: www.bae-hamburg.de
I. Zum Geleit LXII
Schwarz-Grün war deutlich am Ende. Neuwahlen in der Stadt stehen an. Das ist Ausdruck dessen, daß eine kritische Öffentlichkeit, das rabiate Treiben der Finanzmärke (und anderer) nicht mehr dulden will. Der zynische Geschäftsgeist hat auch an den Hochschulen viel Schaden angerichtet. Für Bildung und Kultur für Alle kommen die Hamburger nun auf die Beine. Demokratie? Verantwortungsbewußte Wissenschaft? Bildung für Alle? Das geht nicht frei von Konflikten. Der Akademische Senat erarbeitet Prüfsteine zur Hamburger Bürgerschaftswahl.
Und den Menschen ein Wohlgefallen
Klein Erna sprach zu Fritze klein –
Der tat sogleich erröten –:
Die Kriege sollen nicht mehr sein,
Genug mit all’dem Töten!
Der Fritz, einst groß, nun klein geworden,
Gab Antwort gern bereit:
Auch er, der Jung’, halt’ nichts von Orden,
Das wäre nicht gescheit.
Das Öl, der Krieg, die Mafia –
Im Ganzen wohl gewogen –
Sind nicht für die Entwicklung da,
Zuhause wird gelogen.
Wenn traut ein Paar ins Kriegsland reist
Und Kerner tut sie loben,
Die Frau im Camp die Suppe speist,
So wär’da was verschoben.
Der Krieg ist schlecht, es bleibt dabei,
Es fehlen Buch und Mütze.
Ich freue mich, wenn er vorbei
Und niemand mehr ein Schütze.
So hörte Erna, freute sich,
Daß kleiner Fritz sich traute,
Zu sagen, Krieg sei fürchterlich –
Und auf den Frieden baute.
Olaf Walther, Hamburg, den 15. Dezember 2010
II. Zum Geleit LXIII
Das neue Jahr wird einen Umbruch bringen. Doch noch mufft und mieft es allerorten:
„Es gibt keine Alternative.“ „Politik ist ein schmutziges Geschäft.“ „Konkurrenz belebt das Geschäft.“ – Nein! Die Wiedererkennung des Menschen als zoon politicon, als soziales und politisches Wesen, kommt in die Gänge. In Tunesien beginnt die Revolte. Auch in Hamburg ist das Faß übervoll. Die Veränderung beginnt mit der Erweiterung der humanistischen Ansprüche. Wirklich: Demokratie! ist die Forderung des Tages. Der AS beschließt Kriterien für ein demokratischeres Hochschulgesetz und lädt sich die Spitzenkandidat_innen von Linke, SPD, GAL, CDU und FDP zur öffentlichen Diskussion über ihre (wissenschaftspolitischen) Programme zur Bürgerschaftswahl ein.
Geld als solches
Der Mut zu etwas anderem
1) Vulgär, aber wahr
„›Wir haben eine außergewöhnliche Situation‹, sagt Breman. ›Noch nie war so viel Geld verfügbar.‹ Daran hat auch die jüngste Weltwirtschaftskrise nichts geändert. Sie hat der Branche einen kleinen Dämpfer versetzt, mehr nicht. Ab 50 Millionen Euro aufwärts muss man investieren, wenn man eine Lürssen-Yacht haben möchte.“
Janko Tietz, „Im Yacht-Fieber“, „SPIEGEL“ 3/2011, S. 75.
Michael Breman ist Chefverkäufer beim Yacht-Hersteller Lürssen in Bremen-Vegesack. Als am 16.12.2010 in der hamburgischen Bürgerschaft die sofortige Abschaffung der Studiengebühren zur Abstimmung stand, stimmten GAL und SPD aus akuten haushaltspolitischen Gründen dagegen. (Die CDU hat noch mehr „Gründe“.)
„So verschieden ist es im menschlichen Leben!“ (Kurt Tucholsky)
2) Weglaufen?
„Hasennasen
Meilenweit wittern sie jedes Ereignis, das mit dem Wind kommt. Naht es gegen den Wind, hat es sie prompt am Genick.“
Peter Hacks, in: „Diesem Vaterland nicht meine Knochen“, Gedichtesammlung, Eulenspiegel Verlag 2008.
Die Welt ist voller Gerüche. Man muß ihnen nachgehen, um verschiedene Möglichkeiten voneinander zu unterscheiden. Wer auf Erkundung geht, blickt weiter und entdeckt auch Naheliegendes.
Unrat ist allerdings zu meiden. So entwickelt sich Genuß.
3) Habe Mut...
„Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen. Was dieser gewollt hat, müssen wir erforschen, wenn wir zu wissen wünschen, was jener will.“
Heinrich Heine, „Französische Zustände“, 1832.
Auch die Ergründung von Fehlern ist Aufklärung: Mitgemacht? Nicht verlacht? Meist geschwiegen? Auch bei Lügen? Sitzen geblieben? Zustimmung geschrieben? Sollte es so gewesen sein: Sag Nein!
Das neue Ja wird sich finden.
4) Produktives Werkzeug
„Demokratie ist Denken; aber es ist ein dem Leben und der Tat verbundenes Denken, sonst wäre es nicht demokratisch, und eben hierin ist die Demokratie neu und modern.“
Thomas Mann, „Vom kommenden Sieg der Demokratie“, 1938.
Zeitgemäß ist wahrlich die Überwindung der massenhaften Vereinzelung.
Der Mensch ist weder Apparat noch dumpfer Organismus.
Die Vernunft setzt da an, wo die Handelnden ihre Lage gemeinsam würdig gestalten.
Krieg ist nicht, wenn keiner hingeht.
Hamburg, den 19. Januar 2011
III. Zum Geleit LXIV
Die Krise des neoliberalen Systems ist auch die Krise der Konservativen. Die plagiierte Promotion von Kriegsminister Guttenberg ist aufgeflogen. Krieg und Geschäfte sind ohne Lüge nicht zu machen. Wissenschaft nicht ohne Wahrheit und Humanität. Dieser Antagonismus ist produktiv: Erkenne Deine Macht!
Schwamm drüber?
Jeder, seit er denken kann
Und just sich aktuell besinnt,
Weiß, daß man gut schummelt dann,
Wenn Lehrer nicht sehr wachsam sind.
In der Schule die Lappalie nur
Wächst sich später größer aus,
Wenn der böse Bube stolz und stur
Ganz verläßt das Elternhaus.
Firmen gründen, Steuern sparen,
Stetig steigt das Kapital;
Reich geworden, jung an Jahren,
Glänzt der Bub’ von Mal zu Mal.
Fehlt dem Jungen zum Geschick
Vermehrter Glanz auf seinem Ich,
Geht er in die Politik –
Minister wird er sicherlich.
Wirtschaft bleibt nur Episode,
Stark geworden wie ein Bär,
Spricht der Bub’ nun seine Ode:
Expansion mit Militär.
Doktor nannt’ sich der Minister –
Hat geschummelt auch dabei –,
Überführt nun leider ist er,
Die Karriere ist vorbei.
Der Gedanken Diebstahl kam ans Licht,
Viel Schimpf und Schande hat er nun:
Traue dem Krieg und der Lüge nicht,
Und auch der Adel könnte ruh’n.
Olaf Walther, Hamburg, den 1. März 2011
IV. Zum Geleit LXV
„Fukushima“ hat allen die ungehemmte Destruktivität der Profitgier (und der ihr dienstbaren Wissenschaft) erneut ins Bewußtsein gerufen. Die Alternative demokratischer Kooperation für eine menschenwürdige Gesellschaftsentwicklung muß im Großen wie im Kleinen entwickelt werden. Der AS befaßt sich mit Kriterien und Maßstäben für „neue Schritte bei der Reform des BA/MA-Systems“, mit der baulichen Entwicklung der Universität und votiert gegen die Kürzung der Förderung ausländischer Studierender. Gemeinsame Verantwortung ist keine Schwäche.
Tendenz
Der richtige Einsatz des Verstandes
1) Irrtum
„Das kunstvolle Gleichgewicht, in dem ein Mensch lebt, ist manchmal nichts anderes als der angehaltene Moment vor seinem unvermeidlichen Sturz.“
Dieter Wellershoff, „Die Schönheit des Schimpansen“, Roman 1977.
Neu ist zu fragen: Was ist ein „Restrisiko“?
Gemeint war damit wohl nicht, daß uns das Risiko, geschäftlich nicht berechnet, den Rest gibt. Auf jeden Fall ist der Kaiser aus seinem Palast herabgestiegen.
2) Kumpanei
„Alle Leute haben eine Nähmaschine, ein Radio, einen Eisschrank und ein Telefon.
Was machen wir nun? fragte der Fabrikbesitzer.
Bomben, sagte der Erfinder.
Krieg, sagte der General.
Wenn es denn gar nicht anders geht, sagte der Fabrikbesitzer.“
Wolfgang Borchert (1921-1947), „Lesebuchgeschichten“.
In welchem Dienst steht die Vernunft? Es gibt Verbindungen, die sind tödlich. Man sollte sie nicht eingehen.
3) Richtungsänderung
„Ich halte dafür, daß das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern.“
Bertolt Brecht, „Leben des Galilei“, 1938/39.
Es gibt sie, die Last im Genick, dem Joch des Ochsen gleich, – mit Namen: Armut im Reichtum, Beharren trotz Einsicht, Catch-as-catch-can statt Kooperation. Das ABC der uneingelösten Möglichkeiten. Die Aufhebung besteht im Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und dies als gemeinsame Angelegenheit zu unternehmen.
4) Zu Methode
„Sittenspruch
Man würze, wie man will, mit Widerspruch die Rede,
Wird Würze nur nicht Kost und Widerspruch nicht Fehde.“
Gotthold Ephraim Lessing, Sinngedichte und Lieder, 1753-1771.
Wer vorankommen will, der muß verneinen.
Wer wirklich handeln will, darf nicht nur meinen.
Wer meint, er schafft das nicht, der prüfe ehrlich sich.
Denn bei Verstandeslicht ist’s wen’ger knickerig.
Hamburg, den 13. April 2011
V. Zum Geleit LXVI
Aufgepaßt! Eine Woche vor dieser AS-Sitzung offenbart der neu gewählte Senat ein hartes Kürzungsprogramm für alle gesellschaftlichen Bereiche. Emanzipation?
Der Akademische Senat beschließt eine verärgerte Resolution, ein umfangreiches Forderungspapier und uniweite Aktivitäten, damit Wissenschaft und Bildung für Frieden, Demokratie und sozialen Fortschritt in bedarfsgerecht öffentlich finanzierten Hochschulen möglich werden.
SPD ist, wenn man trotzdem lacht.
Umbruch im Spiegel des Morgens
Der Weckruf tönt recht früh am Morgen,
Die Nacht ist fort, ganz einerlei;
Wer jetzt nicht aufsteht, will sich borgen
Von den Minuten zwei bis drei.
Der Tag ist da, er zeigt die Zähne –
Es ist nicht klar, ob gut das ist.
Die Seele fragt, ob ich erwähne:
Ist Welt wohl gülden oder Mist?
Es liegt sich schön in diesem Bette,
Das ist der Ort für Träumerei,
An dem, so gilt die stumme Wette,
So manches Unglück zieht vorbei.
Jedoch, die Welt, sie braucht die Taten,
Stets klug bedacht, des Sinnes voll.
Der Tag, er soll nicht auf uns warten –
Drum: Aufstehn! Mit und ohne Groll!
Olaf Walther, Hamburg, den 9. Mai 2011
VI. Zum Geleit LXVII
Tags zuvor haben 20.000 Mitglieder aller staatlichen Hamburger Hochschulen gemeinsam unter dem Motto „Mehr Wissen schafft mehr! Für Aufbruch statt Abbruch der Hamburger Hochschulen“ demonstriert. Die neue Solidarität ist mit der Notwendigkeit und Perspektive einer menschenwürdigen Gesellschaft anstelle der destruktiven Konkurrenz begründet. Die Freude aller Beteiligten und die Verunsicherung des Establishments zeigen, daß dieser Weg der richtige ist. Anhand der Neuwahl des Vizepräsidenten für Studium und Lehre, Holger Fischer, wird die Notwendigkeit einer echten und zügigen Reform der Bologna-Studiengänge diskutiert. Die Aktivitäten im „Kampf um die Zukunft“ werden besprochen; eine gruppenübergreifende uniweite Vollversammlung in Aussicht genommen und Aktionstage festgesetzt.
Heitere Seriosität
1) Radix statt Radieschen
„Katechisation
Lehrer
Bedenk, o Kind! woher sind diese Gaben?
Du kannst nichts von dir selber haben.
Kind
Ei! Alles hab ich vom Papa.
Lehrer
Und der, woher hats der?
Kind
Vom Großpapa.
Lehrer
Nicht doch! Woher hats denn der Großpapa bekommen?
Kind
Der hats genommen.“
Johann Wolfgang v. Goethe, Lyrische Dichtungen, 1772-1774 (Frankfurt).
Gedanken bilden stets die Haltung: Wer die Ursachen kennt, kann freier denken und atmen.
Das hat Konsequenzen. Klugheit sei an Entfaltung gemessen.
2) Anderer Alltag
„Der zweite Bürgermeister tut sich etwas darauf zugute, nur Beamter im Dienst zu sein und nichts als das – das ›Menschliche‹ holt er in Mußestunden hervor und zu ganz besonders schönen Anlässen – dann heißt dergleichen ›human‹. Es ist die ehemals preußische Furcht darin, alles Menschliche sei von vornherein verdächtig, unangemessen, ungehörig – und es wird darum verjagt wie Singvögel von einem Kasernenhof.“
Kurt Tucholsky, „Das ›Menschliche‹“, 1927.
Wer Furcht hat, wird amtlich. Wovor Furcht? Vor dem Unwillen der Aktionäre. Sie stellen aber nicht die Mehrheit. Das Menschliche werde amtlich.
3) Ersichtliches
„Und es ist kein besonders gutes Zeichen für eine Gesellschaftsordnung, wo nur die Unmündigen und Betrunkenen die Wahrheit sagen oder wenigstens zu sagen bereit sind.“
Bertolt Brecht, „Notizen über realistische Schreibweise“, 1940.
Die Wissenschaft sei ambitioniert, die Wahrheit zu ergründen, sie zu verbreiten und das Leben zu verbessern.
4) Bestimmtheit
„Ist denn kein Unterschied zwischen
Gerechtigkeit und Schinderei?“
Georg Christoph Lichtenerg, „Einfälle und Bemerkungen“, Heft C, 1772-1773.
Doch!
Hamburg, den 8. Juni 2011
VII. Zum Geleit LXVIII
Die dogmatisch-autokratische Senatspolitik (immer wieder: „Schuldenbremse“) wird kritisch reflektiert. Wie ist der Dogmantismus der handelskammerfreundlichen und bevölkerungsfeindlichen Kürzungsorgie zu knacken? Der AS diskutiert – anhand des „Zukunftskonzepts Universitätsverwaltung“ – die zu verwirklichende Einheit von Forschung, Lehre, Studium, Verwaltung und Selbstverwaltung als Beispiel für eine erforderliche dynamische Entwicklung von egalitärer Kooperation und sozialem Bewußtsein. Anpassung für „Effizienz“ soll nicht (mehr) sein. Die Wissenschaftssenatorin und die Bürgerschaft sollen unausgesetzt diskursiv herausgefordert werden. Vernunft gedeiht mit den Argumenten. Bravheit ist keine Tugend.
Die Zahl 68
Nicht nur unter den Talaren –
Müffelei von tausend Jahren.
Erstarrung, hart, kam an ihr Ende –
Im Winde, frisch, lag echte Wende.
Krieg, Faschismus? Nie wieder, nie!
Legt alle Braunen über’s Knie!
Und dem Militär allerorten?
Klaut die Gewehre, schließt die Pforten!
Bildung sollte nun offen sein –
Arbeiterkinder just hinein.
Kritik ward eine Kategorie
Für Position und Empirie.
Büstenhalter wurden verbrannt –
Gelächter ging durchs ganze Land.
Aufklärung war groß von Bedeutung,
Auch für körperliche Läuterung.
Ordnungshüter sagt: Vergessen!
Wir hingegen neu vermessen –
Für alle, für heute, für morgen –
Die reiche Welt, sehr arm an Sorgen.
Und der Sinn vom ganzen Streben?
Leben.
Olaf Walther, Hamburg, den 26. Juni 2011
VIII. Zum Geleit LXIX
Der Akademische Senat verabschiedet eine gepfefferte Stellungnahme zu der Positionierung der Wissenschaftssenatorin, die mit Verweis auf die unvermeidliche „Schuldenbremse“ jede vernünftige Entwicklung der Universität zwar für schön, aber unrealistisch erklärt. Zum Einstieg in das Wintersemester werden erneut uniweite Aktionstage in Aussicht genommen. Der Kampf um die Zukunft kennt kein Ende:
Handelndes Denken
Eine Neubewertung
1) Grundlegend
„In der ›Natur der Dinge‹ oder in der biologischen ›Natur des Menschen‹ liegt der Humanismus nicht. Er wird uns nicht angeboren. Jedes Individuum muß neu erlernen, was die Gesellschaft in Jahrtausenden als höchste, mühsamste, am meisten gefährdete Leistung hervorgebracht hat, kein Instinkt verbietet ihm wie den meisten Tierarten die Tötung der Artgenossen.”
Christa Wolf, „Lesen und Schreiben“, „Erinnerte Zukunft“, 1968.
Lernen baut auf Erfahrung auf, ist selbst Erfahrung, stellt Zusammenhänge her, schafft Aussicht und verpflichtet zur Einsicht. Schönheit entsteht durch Entwicklung.
2) Die Möglichkeit als Verantwortung
„Totalität;- es gibt nur eine: die menschliche, die Totalität des Humanen, wovon das Politisch-Soziale ein Segment und Teilgebiet ist.“
Thomas Mann, „Maß und Wert“, Vorwort zum ersten Jahrgang, 1937.
Unverbindlich ist nichts zu erreichen. Gedanken beweisen ihre Triftigkeit in der Tat.
Politik ist allen möglich. Sozial ist die Befreiung von Elend.
3) Richtlinien der Geschichte
„Und wenn noch einmal ein größenwahnsinnig gewordenes Beamtentum und eine Clique geldgieriger Kanonenfabrikanten, Brotwucherer, reklamierter Redakteure, abgedankter Fürstlichkeiten mit ihren eitlen ruhmsüchtigen Frauen zum Kriege hetzen, dann möge der anständigere Teil der deutschen Nation, dann möge die gesamte Arbeiterschaft wie ein Mann aufstehen, ihnen Helm und Fahne aus der Hand schlagen und, belehrt durch Blut, gehärtet durch Leid in den Ruf ausbrechen: Nie wieder Krieg!“
Kurt Tucholsky, „Vor acht Jahren“, 1922.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
4) Heitere Verbindung
„Der Spanier lebt in fernen Zonen
Für die, die weitab davon wohnen.“
Joachim Ringelnatz (1883-1934).
Gemäß der Banken-Philosophie sind wir heutzutage eher alle Griechen: Wir können nicht haushalten, arbeiten zu wenig, machen zu viel Urlaub und gehören an die Kandare genommen.
Da hilft nur eins: Lachen
Hamburg, den 7. September 2011
IX. Zum Geleit LXX
Uni-Präsident Dieter Lenzen hat sich über den Sommer von den Vertretern des Rathauses, von der Ferienstimmung, vom unglaublich biederen AStA und seinen eigenen Skrupeln (vom Hochschulmanager zur Solidarität ist eine schwierige Reise) überwältigen lassen und eine „Hochschulvereinbarung“ mit dem SPD-Senat getroffen. Alles soll nun nur noch langsam schlechter werden. Das kleinere Übel? Wohl kaum. Der AS ist unzufrieden und bringt dies in öffentlicher Diskussion mit der Wissenschaftssenatorin zum Ausdruck. Der gefestigte Wille: Jetzt soll es nur noch besser werden!
Entsprechend solidarisiert sich der AS mit den Kolleginnen und Kollegen der Uni-Druckerei und Poststelle, die in Gefahr stehen, privatisiert zu werden.
Ansprüche fortsetzen
Einst hieß es wohl, die Wissenschaft
Sei uns’re allerhöchste Kraft.
Nun heißt es rechnen, sparen, kürzen,
Statt gute Speise gut zu würzen.
Schmaler Hans in seiner Küche
Rührt den Brei und erntet Flüche,
Ob jetzt er nicht besser kochen kann,
Damit es uns schmecke dann und wann.
Hans dagegen bleibt dogmatisch,
Erwidert kurz, halb apathisch,
Daß Banken leider sehr verfressen –
Die Bildung sei sehr klein vermessen.
Das hört der Mensch gar nicht gerne,
Wenn man ihm zeigt in die Sterne
Für all das Gute hier auf Erden –
Wer mag ein bleicher Engel werden?
Damit nun Farbe kommt ins Leben,
Woll’n wir dem Schmalhans Kontra geben:
Für Frieden, Wohlfahrt, Heiterkeit
Ist Mensch zu mancher Tat bereit.
Olaf Walther, Hamburg, den 26.10.2011.
X. Zum Geleit LXXI
Weltweit werden die sozialen Konflikte mit erheblicher kritischer Politisierung der Bevölkerung beantwortet. Der Durchbruch für eine solidarische Gesellschaft anstelle der Herrschaft der Banken liegt in der Luft. Aber dagegen propagieren (und praktizieren) die Herrschenden Nationalismus und Krieg. Ist der Fortschritt so aufzuhalten?
Nein! ist wachsende Solidarität. Anhand der Besetzung der Stelle der Gleichstellungsbeauftragten wird der Konflikt zwischen Konkurrenz und Leistungsdruck einerseits und kooperativer, verantwortlicher Entwicklung von allen (für alle) kontrovers diskutiert – und positiv entschieden.
Wie bitte?
Den Ohren trauen
1) Regiert-Werden
„Es ist wichtig, dass wir von diesem Parteitag das gemeinsame Signal senden: Wir verzagen nicht, wir jammern nicht, wir nörgeln nicht.“
Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Leipzig, 2011.
Nun ist es amtlich: Das Pfeifen im Walde ist zentraler Bestandteil des konservativen Regierungsprogrammes. Auch eine Art von Glauben. Wie bitte?
2) Des Dichters Dringlichkeit
„Das aber fürchten die Aristokraten am meisten; mit der Zerstörung der nationalen Vorurteile, mit dem Vernichten der patriotischen Engsinnigkeit schwindet ihr bestes Hülfsmittel der Unterdrückung. Ich bin daher der inkarnierte Kosmopolitismus, ich weiß, daß dieses am Ende die allgemeine Gesinnung in Europa, und ich bin daher überzeugt, daß ich mehr Zukunft habe als unsre deutschen Volkstümler, diese sterblichen Menschen, die nur der Vergangenheit angehören.“
Heinrich Heine an Friedrich Merckel, Frühjahr 1833.
Es bleibet dabei: Wir sind nach wie vor, von Alpha bis Omega – in ganzer menschlicher Bandbreite –, alle Griechen. Demokratie!
3) Wohl wahre Worte
„beim menschlichen handeln ist es so: wenn sich eine bestimmte quantität von gründen aufgehäuft hat, entsteht eine neue qualität, und ein entschluß erfolgt oder eine handlung.“
Bertolt Brecht, „Arbeitsjournal“, 23.3.1942.
Es ist uns nicht nur kumuliertes Wissen gegeben, sondern auch der Unmut über änderbar Unzulängliches kann sich häufen. Wir können dann die Richtung und Wirkungsweise unseres Handelns neu begründet ändern. Mündigkeit!
4) Zwerchfellatmung
„Und gehts gut, so ist der Kapitalist ein tüchtiger Kerl, auch zeigt dies, daß die Wirtschaft nicht auf private Initiative verzichten kann. Gehts aber schief, so ist das ein elementares Ereignis, für das natürlich nicht der Nutznießer der guten Zeiten, sondern die Allgemeinheit zu haften hat.
Wirf den Bankier, wie du willst: er fällt immer auf dein Geld.“
Kurt Tucholsky, „Schnipsel“, 1932.
Kleiner Rat: Nimm’s vorher drunter raus.